Bundeskanzler Nehammer bei EU-Westbalkan-Gipfel in Albanien 

Treffen der 27 Staats- und -Regierungschefs der EU mit jenen der 6 Westbalkan-Staaten erstmals in der Region – "Erklärung von Tirana" als Bekenntnis der EU für die europäische Perspektive des Westbalkans – Zusammenarbeit bei Migrations-, Wirtschafts-und Energiefragen soll intensiviert werden – Senkung der Roaming-Gebühren ab Oktober 2023

Die albanische Hauptstadt Tirana war am 6. Dezember 2022 Schauplatz des EU-Westbalkan-Gipfels. Die Staats-und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten trafen mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den 6 Westbalkan-Ländern erstmals in der Region zusammen. Als Gastgeber des Gipfels fungierte der albanische Ministerpräsident Edi Rama. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, führte den Vorsitz und vertrat gemeinsam mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die EU. Zu den Teilnehmenden zählten des Weiteren der Hohe Vertreter der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Europäischen Kommission, Josep Borrell, sowie der für Nachbarschaft und Erweiterung zuständige Kommissar, Olivér Várhelyi. 

Bundeskanzler Karl Nehammer hatte sich zu Beginn des Gipfels zu den wichtigsten Themen auf der Agenda geäußert: "Wir wollen beim EU-Westbalkan-Gipfel in Tirana ein klares Bekenntnis zur strategischen Partnerschaft mit den 6 Westbalkan-Staaten abgeben. Das betrifft die wirtschaftliche Kooperation ebenso wie die Zusammenarbeit bei der Energieversorgung und den Kampf gegen illegale Migration."

"Erklärung von Tirana": Bekenntnis der EU zur europäischen Perspektive des Westbalkans 

In der am 6. Dezember 2022 angenommenen "Erklärung von Tirana" bekräftigen die EU-Mitgliedstaaten ihr "uneingeschränktes und klares Bekenntnis zur Perspektive einer Mitgliedschaft des Westbalkans in der Europäischen Union". Der Beitrittsprozess soll "auf der Grundlage glaubwürdiger Reformen seitens der Partner, einer fairen und strikten Konditionalität sowie des Grundsatzes der Beurteilung nach der eigenen Leistung" beschleunigt werden. Reformen sollen insbesondere im Bereich der Rechtsstaatlichkeit fortgesetzt werden, etwa was die Unabhängigkeit und Funktionsweise der Justiz sowie die Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität betrifft. Im Gegenzug für Reformfortschritte will die EU die Länder finanziell unterstützen. Das soll auch dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit des Westbalkans gegen mögliche Abhängigkeiten und Einflussnahmen aus dem Ausland zu stärken.

Bezüglich des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sei eine vollständige Angleichung des Westbalkans an die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU erforderlich, auch was die restriktiven Maßnahmen betreffe, welche die EU gegenüber Russland in den vergangenen Monaten ergriffen hat. Die EU begrüßt die "Entschlossenheit" der Westbalkan-Staaten, im Einklang mit dem Völkerrecht "die zentralen europäischen Werte und Grundsätze" zu wahren. Denn, so heißt es in der Erklärung: "Der eskalierende Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gefährdet Frieden und Sicherheit in Europa und in der Welt und verdeutlicht, wie wichtig die strategische Partnerschaft zwischen der EU und der Westbalkanregion ist." Wichtig sei zudem, innerhalb der Region zusammenzuarbeiten, um Stabilität und Aussöhnung zu fördern sowie Lösungen für bilaterale und regionale Streitigkeiten und Probleme zu finden.

Bundeskanzler Karl Nehammer hielt zu den Ergebnissen des Treffens fest: "Beim EU-Westbalkan-Gipfel in Tirana haben wir uns darauf geeinigt, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Westbalkan-Staaten zu verstärken und bei der Energieversorgungssicherheit zu unterstützen. Dafür wird ein Förderprogramm in Höhe von 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig ist der Westbalkan ein wichtiger geostrategischer Partner im Kampf gegen illegale Migration. Um den derzeit massiven Zustrom einzudämmen, braucht es einen funktionierenden Schutz der EU-Außengrenzen, effektive Rückführungen und Verschärfungen bei der Visapolitik." (siehe dazu auch: "Bundeskanzler Nehammer: Westbalkan ist wichtiger geostrategischer Partner, wenn es um illegale Migration geht")

Bundeskanzler Nehammer in Albanien

Migrationsmanagement: "Gemeinsame Herausforderung"

"Die rasche Angleichung der Partner an die Visumpolitik der EU ist von vordringlicher und entscheidender Bedeutung für das Migrationsmanagement sowie für das reibungslose Funktionieren und die Nachhaltigkeit der Regelungen für visumfreies Reisen zwischen dem Westbalkan und der EU insgesamt", lautet es in der "Erklärung von Tirana". Da im Laufe des vergangenen Jahres die Migrationsströme im Westbalkan erheblich zugenommen haben, führten die Staats- und Regierungschefs am 6. Dezember 2022 einen Gedankenaustausch darüber, wie das Migrationsmanagement angegangen werden kann. Denn von Jänner bis November 2022 wurden nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex 139.525 unerlaubte Grenzübertritte dokumentiert – eine Steigerung um 152 Prozent oder um das Dreifache im Vergleich zur Zahl im Zeitraum des Vorjahrs. Das Migrationsmanagement bleibe, so der Wortlaut der "Erklärung von Tirana", "eine gemeinsame Herausforderung, die die EU und der Westbalkan gemeinsam und in enger Partnerschaft angehen werden".

Mit finanzieller Unterstützung durch die EU soll es gelingen, 

  • die Asyl- und Aufnahmesysteme in den 6 Westbalkan-Staaten zu verbessern, 
  • den Grenzschutz zu verstärken, 
  • Schleusernetze und organisierte kriminelle Vereinigungen zu bekämpfen sowie 
  • die Rückkehr und Rückführung aus dem Westbalkan in die Herkunftsländer zu fördern.

Die EU verstärkt zudem ihre Unterstützung und Zusammenarbeit mit dem Westbalkan, um die Cyber-Resilienz nach einer Reihe groß angelegter Cyber-Angriffe in der Region zu stärken. Die Europäische Kommission hatte am 5. Dezember 2022 im Vorfeld des Gipfeltreffens einen Aktionsplan mit 20 Punkten vorgestellt, der eine engere Zusammenarbeit mit den 6 Ländern in puncto Migration vorsieht. 

Infografik – Wirtschafts- und Investitionsplan der EU: mehr Unterstützung denn je für den Westbalkan

Wirtschafts- und Investitionsplan: Fortschritte bei der Umsetzung mit Fokus auf Energie

Bei Themen wie der Wirtschafts- und der Energiepolitik möchten EU und Westbalkan künftig noch stärker kooperieren. Die EU ist, wie auch die "Erklärung von Tirana" festhält, "nach wie vor engster Partner, der größte Investor und Handelspartner sowie der wichtigste Geber" für den Westbalkan, einem Markt mit insgesamt rund 17 Millionen (potenziellen) Konsumentinnen und Konsumenten. Als Handelspartner für die 6 Westbalkan-Länder lag die EU 2021 mit 68 Prozent weit vor anderen Staaten (China 8 Prozent, Türkei 5 Prozent, Vereinigtes Königreich 3 Prozent, Russland 3 Prozent, weitere Länder 13 Prozent).

In der "Erklärung von Tirana" wird weiters hervorgestrichen: "Russland trägt die alleinige Verantwortung für die derzeitige Energie- und Wirtschaftskrise. Die EU wird die Partner im Westbalkan weiterhin bei der Bewältigung der negativen Auswirkungen auf ihre Volkswirtschaften und Gesellschaften unterstützen." In der Erklärung erinnern die Staats- und Regierungschefs der EU an ihren Beschluss, die gemeinsame Beschaffung von Gas, Flüssigerdgas und Wasserstoff für die Partner im Westbalkan zu öffnen, und ermutigen sie, diese Plattform zu nutzen. Auch der REPowerEU-Plan soll dazu beitragen, die Abhängigkeit der EU und des Westbalkans von russischem Gas zu verringern. Im Energiesektor werden 6 Projekte dank eines neuen Energieförderpakets der EU vorangetrieben, das auf 2 Säulen beruht:

  • 500 Millionen Euro zur Abfederung des Anstiegs der Energiepreise für Unternehmen und finanziell schwächere Haushalte (Auszahlung ab Anfang 2023),
  • 500 Millionen Euro für Investitionen auf kurz- und mittelfristige Sicht in die Energieversorgungssicherheit und Energiewende (etwa thermische Renovierung von privaten und öffentlichen Gebäuden, Zuschuss-Programme, Garantien zur Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz). Es wird erwartet, dass in Zusammenarbeit mit internationalen Finanzinstitutionen Gesamtinvestitionen in Höhe von bis zu 2,5 Milliarden Euro mobilisiert werden können.

Das Gipfeltreffen am 6. Dezember 2022 bot Gelegenheit, über Fortschritte bei der Umsetzung des fast 30 Milliarden Euro an Gesamtvolumen fassenden Wirtschafts- und Investitionsplans zu beraten. Mit dem Plan soll die sozioökonomische Kluft zwischen dem Westbalkan und der EU überbrückt werden. Die Schwerpunkte liegen in den Bereichen ökologischer und digitaler Wandel, nachhaltiger Verkehr, saubere Energie, Unterstützung der Privatwirtschaft und Entwicklung des Humankapitals. Bis dato konnten bereits Finanzierungsbeschlüsse für 40 Vorzeigeprojekte erlassen werden, die einen Umfang von 1,8 Milliarden Euro an EU-Unterstützung und einen Investitionswert von insgesamt 5,7 Milliarden Euro haben. 

Roaming: Verständigung auf Senkung der Gebühren ab Oktober 2023 

Als sichtbares Zeichen für die praktische Zusammenarbeit wurde in Anwesenheit der EU-Staats- und -Regierungschefs eine Erklärung zwischen Telekom-Betreibern aus der EU und den Westbalkan-Staaten unterzeichnet. In der "EU - Western Balkans Roaming Declaration" wird auf freiwilliger Basis in Aussicht gestellt, die Roaming-Gebühren für Reisende ab Oktober 2023 zu reduzieren. Bis 2027 sollen die Zusatzkosten für die Handy-Nutzung gänzlich entfallen. Die Europäische Kommission und der Regionale Kooperationsrat hatten die Verhandlungen über das Abkommen erleichtert; für Mai 2023 werden Beschlüsse über weitere Senkungen erwartet.

Erasmus+ und weitere EU-Programme: Einbeziehung der Westbalkan-Staaten 

EU-Western Balkans Summit - Teaser

Die EU hat bereits damit begonnen, die Westbalkan-Staaten schrittweise an EU-Programmen wie Erasmus+, dem Europäischen Solidaritätskorps und der Initiative "Europäische Hochschulen" zu beteiligen. Dies soll Chancen für junge Menschen schaffen, dem "Brain Drain" in der Region entgegenwirken – und den konkreten "Mehrwert" der Annäherung an die EU verdeutlichen.

Hintergrund: Westbalkan-Staaten in unterschiedlichen Stadien der Annäherung an die EU

Die 6 Westbalkan-Staaten streben eine EU-Mitgliedschaft an, sind jedoch in ihrer Annäherung an die Union unterschiedlich weit fortgeschritten: Mit Montenegro und Serbien führt die EU seit 2012 beziehungsweise 2014 Beitrittsverhandlungen; mit Albanien und Nordmazedonien wurde dieser Prozess in diesem Jahr gestartet. Die Europäische Kommission hat sich für den Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina ausgesprochen, während Kosovo bislang potenzieller Beitrittskandidat ist, aber noch in diesem Jahr einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft zu stellen plant.

Die EU-Westbalkan-Gipfel finden in der Regel jährlich auf Ebene der 27 EU-Staats- und -Regierungschefs statt. Zuletzt hatte ein EU-Westbalkan-Gipfel am 23. Juni 2022 in Brüssel stattgefunden.

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