Europäische Kommission präsentiert Aktionsplan für die Westbalkan-Route

Eindämmung der irregulären Migration über die Westbalkan-Route als Ziel – 5 Säulen: Verbesserung des Grenzmanagements, Beschleunigung der Asylverfahren, Bekämpfung der Schleuserkriminalität, Intensivierung von Rückführung und -übernahme, Angleichung der Visumpolitik – Bundeskanzler Nehammer: "Erster wichtiger Schritt"

The European Border and Coast Guard teams

Die Europäische Kommission hat am 5. Dezember 2022 einen EU-Aktionsplan für den Westbalkan vorgelegt. Ziel ist es, die Zusammenarbeit mit den 6 Westbalkan-Staaten in den Bereichen Migration und Grenzmanagement zu stärken. Dies sei, angesichts ihrer Bemühungen um Annäherung an die EU und Angleichung an die Vorschriften der EU, angebracht, so die Kommission. 

Zudem hat in den vergangenen Monaten die irreguläre Migration über die Westbalkan-Route aufgrund unterschiedlicher Faktoren – wie des wirtschaftlichen Drucks und der Unsicherheit infolge anhaltender Konflikte – erheblich zugenommen: Von Jänner bis November 2022 wurden nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex 139.525 unerlaubte Grenzübertritte dokumentiert – eine Steigerung um 152 Prozent oder um das Dreifache im Vergleich zur Zahl im Zeitraum des Vorjahrs. Auch die mangelnde Abstimmung der Regelungen für visumfreies Reisen mit der Visumpolitik der EU trage laut Kommission dazu bei, dass mehr Menschen über den Luftweg direkt in die Westbalkan-Länder einreisen und sich von dort aus in die EU aufmachen.

2009: 3089 illegale Grenzübertritte, 2010: 2371 illegale Grenzübertritte, 2011: 4658 illegale Grenzübertritte, 2012: 6291 illegale Grenzübertritte, 2013: 19957 illegale Grenzübertritte, 2014: 43355 illegale Grenzübertritte, 2015: 764033 illegale Grenzübertritte, 2016: 130325 illegale Grenzübertritte, 2017: 12179 illegale Grenzübertritte, 2018: 5869 illegale Grenzübertritte, 2019: 15152 illegale Grenzübertritte, 2020: 26969 illegale Grenzübertritte, 2021: 61735 illegale Grenzübertritte, 2022: 139 525 illegale Grenzübertritte

Bundeskanzler Nehammer: "Erster wichtiger Schritt"

Bundeskanzler Karl Nehammer bezeichnete den Aktionsplan als einen "ersten wichtigen Schritt". Der Westbalkan sei ein "wichtiger geostrategischer Partner", wenn es um illegale Migration gehe, betonte der Regierungschef.

Margaritis Schinas, Vizepräsident der Europäischen Kommission und zuständig für die Förderung unserer europäischen Lebensweise, strich hervor: "Migration ist eine gemeinsame Herausforderung, die wir zusammen angehen müssen, so dass keiner unserer Mitgliedstaaten und Partner im Westbalkan mit den Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, alleingelassen wird." Ylva Johansson, Kommissarin für Inneres, ergänzte: "Die Westbalkan-Route steht schon seit einiger Zeit im Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Mit diesem Aktionsplan bauen wir nun auf unserer guten Zusammenarbeit auf und ebnen den Weg für eine weitere enge Kooperation."

Westbalkan-Aktionsplan: 5 Säulen, 20 Maßnahmen

Die Vorschläge konzentrieren sich auf die Unterstützung der 6 Länder im Westbalkan und deren Aktionen sowie auf Maßnahmen in der EU. Der Aktionsplan umfasst insgesamt 20 operative Maßnahmen und gliedert sich in 5 Säulen:

  • 1. Säule: Verbesserung des Grenzmanagements entlang der Routen:
    Ein besseres Grenzmanagement entlang der gesamten Migrationsroute ist von entscheidender Bedeutung, um irreguläre Migrationsströme zu verringern, aber auch angesichts der sich wandelnden Vorgehensweisen von Schleusern, der zunehmenden Gewaltanwendung und der Risiken im Zusammenhang mit dem illegalen Schusswaffenhandel und der organisierten Kriminalität. Die EU hat mit Albanien, Montenegro, Serbien und Nordmazedonien bereits Statusvereinbarungen geschlossen, die es Frontex ermöglichen, die ständige Reserve der Europäischen Grenz- und Küstenwache zu gemeinsamen Aktionen in der Region zu entsenden. Nun sollen die gemeinsamen Aktionen und Entsendungen von Frontex ausgebaut und rasch neue Statusvereinbarungen ausgehandelt werden. Gleichzeitig soll die Unterstützung von Frontex für die Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen überprüft und gegebenenfalls verstärkt werden.
  • 2. Säule: Zügige Asylverfahren und Unterstützung für Aufnahmekapazitäten:
    Die EU setzt sich weiterhin für den Ausbau der Asylkapazitäten der Partner im Westbalkan ein und unterstützt die Aufnahme in der gesamten Region durch ein laufendes Programm im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe (Englisch: "Instrument for Pre-Accession Assistance", kurz IPA). Die Unterstützung umfasst auch die weitere Verbesserung der Asyl- und Registrierungsverfahren sowie die Sicherstellung angemessener Aufnahmebedingungen, auch für die Notfallplanung und Wintervorsorge. Um Sekundärmigration zu bekämpfen und Migrationsbewegungen besser bewältigen zu können, müssten in der EU zudem der Fahrplan für Überstellungen nach der Dublin-Verordnung und für die Eurodac-Erfassungen rasch umgesetzt werden. 

Das Dublin-Verfahren dient der Zuständigkeitsbestimmung zur Durchführung des Asylverfahrens in einem EU-Mitgliedstaat; es soll bezwecken, dass jeder Asylantrag, der auf dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gestellt wird, materiell-rechtlich nur durch einen Staat geprüft wird. Damit soll die Sekundärmigration innerhalb Europas gesteuert beziehungsweise begrenzt werden. 
Das Eurodac-System ist ein EU-weites System zur Identifizierung von Asylwerberinnen und Asylwerbern sowie Personen, die beim illegalen Überschreiten der EU-Außengrenze aufgegriffen werden. Es besteht aus einer zentralen Fingerabdruck-Datenbank ("Zentralsystem") und einer IT-Infrastruktur zwischen diesem Zentralsystem und den Mitgliedstaaten.

  • 3. Säule: Bekämpfung der Schleuserkriminalität:
    Um die Maßnahmen zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität entlang der gesamten Route zu intensivieren, schlägt die Europäische Kommission die Einrichtung einer Taskforce des Europäischen Polizeiamtes (Europol) vor, die vor allem an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn tätig sein soll. Eine Einigung im Rat und im Parlament über den Vorschlag zur Sanktionierung von Verkehrsunternehmen, die an der Schleusung von Migrantinnen und Migranten beteiligt sind, sei ebenfalls von entscheidender Bedeutung, so die Kommission. Als vorübergehende Lösung werde die Kommission ein Instrumentarium mit auf Verkehrsunternehmen ausgerichteten Maßnahmen erstellen.
  • 4. Säule: Verbesserung der Rückführung und der Zusammenarbeit bei der Rückübernahme:
    Die vollständige Umsetzung der Rückübernahmeabkommen mit den 6 Ländern im Westbalkan sei das Rückgrat der Zusammenarbeit bei der Rückkehr und der Rückübernahme, betont der Plan. Dazu müssten die operativen Kapazitäten mittels Frontex ausgebaut und gemischte Rückübernahmeausschüsse eingesetzt werden. Für 2023 kündigte die Europäische Kommission die Entwicklung eines neuen Rückkehrprogramms für die Region an, mit dem die Koordinierung auf operativer Ebene zwischen der EU, dem Westbalkan und den Herkunftsländern intensiviert werden soll. Ein entsprechendes Pilotprojekt, das die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit Bosnien und Herzegowina umsetzt, könnte als Beispiel für eine Ausweitung auf die anderen Länder dienen.
  • 5. Säule: Abstimmung der Visumpolitik:
    Alle 6 Staaten am Westbalkan sollten möglichst umgehend ihre Visumpolitik an die Visumpolitik der EU angleichen, hält der Aktionsplan fest. Hier gebe es noch "signifikante Lücken". Diese Angleichung der Visumpolitik sei jedoch für das reibungslose Funktionieren der Visumfreiheit zwischen dem Westbalkan und der EU von entscheidender Bedeutung, so die Europäische Kommission.

    Die Europäische Kommission betonte bei der Präsentation des Aktionsplans, dass die EU und die Mitgliedstaaten zusammenarbeiten müssten, um die in diesem Aktionsplan festgelegten Ziele zu erreichen und die wirksame Durchführung der darin enthaltenen 20 Maßnahmen zu gewährleisten. Der Berichterstattung und der Überwachung durch die bestehenden Mechanismen der Kommission und des Rates komme eine zentrale Rolle zu. Der Westbalkan-Aktionsplan ergänzt die laufenden Arbeiten im Zusammenhang mit anderen Migrationsrouten nach Europa.

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