Bundeskanzler Nehammer: Westbalkan ist wichtiger geostrategischer Partner, wenn es um illegale Migration geht

Westbalkan-Gipfel in Tirana

Als "ersten wichtigen Schritt" bezeichnete Bundeskanzler Karl Nehammer den EU-Aktionsplan für die Balkanroute nach dem EU-Westbalkangipfel in Tirana. Es gehe ihm aber nicht nur um die Westbalkanroute, sondern auch um die Migrationsroute über Bulgarien und Rumänien nach Österreich. Erneut bekräftigte er Österreichs Nein zur Schengen-Erweiterung um Bulgarien und Rumänien. In Bezug auf das Thema Migration habe Österreich mit der EU-Kommission "noch viele Themen zu besprechen". Nehammer nannte etwa Asylverfahren in sicheren Drittstaaten oder eine "Zurückweisungsrichtlinie" für Menschen aus Ländern, die keine Bleibeberechtigung haben. Als Erfolg sei jedoch zu werten, dass die EU anerkenne, dass "der Westbalkan ein wichtiger geostrategischer Partner ist, wenn es um illegale Migration geht".

Der Westbalkangipfel fand erstmals in der Region statt. Die Hauptthemen waren die gemeinsame Bewältigung der Folgen des Ukraine-Kriegs, der EU-Erweiterungsprozess, die Stärkung der gemeinsamen Sicherheit und der Kampf gegen illegale Migration. Außerdem ging es um die Verhinderung von Einflussnahme aus dem Ausland. Neben den 27 EU-Mitgliedstaaten – außer Spanien – nahmen die 6 Partnerländer des westlichen Balkans Albanien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und Kosovo an dem Gipfel teil.

EU-Aktionsplan – Neue Europol-Taskforce

Der Aktionsplan zur Balkanroute war bereits im Vorfeld des Gipfels von der EU-Kommission präsentiert worden. Dieser umfasst 20 Maßnahmen. Die EU-Kommission will die Westbalkanländer bei den Asyl- und Registrierungsverfahren sowie bei der "Gewährleistung angemessener Aufnahmebedingungen" unterstützen. Für das kommende Jahr kündigte sie ein Programm für Rückführungen an. Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex soll bei der Verstärkung des EU-Außengrenzschutzes helfen. An der Grenze zwischen Ungarn und Serbien wird eine neu eingesetzte Europol-Taskforce ihre Tätigkeit aufnehmen. Laut EU-Grenzschutzagentur Frontex ist die Westbalkanroute über die Westbalkanländer und Ungarn eine der aktivsten Migrationsrouten. 128.438 Menschen seien hier in den ersten 10 Monaten 2022 eingereist. Das sei im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 168 Prozent.

Keine Zustimmung zu Schengen-Erweiterung

Zum Thema Schengen machte Nehammer angesichts der hohen Zahl an illegal eingereisten Migranten die österreichische Position erneut klar: "Es gibt derzeit keine Zustimmung zu einer Erweiterung um Bulgarien und Rumänien". Aus österreichischer Sicht sei eine Erweiterung nicht denkbar, wenn nicht Maßnahmen gesetzt würden, um die Zahlen zu reduzieren. "Wir haben 75.000 nicht registrierte Migranten", stellte Nehammer fest. Diese würden vor allem über Bulgarien in die EU gelangen, einige tausend aber auch über Rumänien. Durch Befragungen von Asylwerbern und Schleppern sowie der entsprechenden Handydatenauswertung wisse man, dass 40 Prozent die Route über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich wählen. In Ungarn wurden nur rund 100 Asylanträge gestellt.

Strategische Partnerschaft EU-Westbalkan

Nehammer verwies auch auf die enge wirtschaftliche Kooperation zwischen dem Westbalkan und der EU etwa bei der Energieversorgung. Die EU stelle den Westbalkan-Staaten hierfür eine Milliarde Euro zur Verfügung. Der Gipfel sei, so Nehammer, "ein total starkes Lebenszeichen für die Beziehungen der Europäischen Union zum Westbalkan". Problemfelder und Bereiche, in denen es noch Nachholbedarf gebe seien "sehr offen angesprochen worden", so der Kanzler.

Der EU-Gipfel gab überdies ein Bekenntnis zur Bedeutung der strategischen Partnerschaft zwischen der EU und den 6 Westbalkanländern vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ab. Der Beschluss, die gemeinsame Beschaffung von Gas, Flüssiggas und Wasserstoff für den Westbalkan zu öffnen, wurde bekräftigt. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung soll vertieft werden. Für eine Beschleunigung des Beitrittsprozesses sollten notwendige Reformen vorangetrieben werden, insbesondere in Bezug auf den Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. Im Bereich Migration wird eine Anpassung der Visapolitik der Westbalkan-Staaten an die EU-Standards angestrebt, sowie eine verstärkte Zusammenarbeit bei Rückführungen.

Serbien beendet Visafreiheit mit Indien zum Jahresende

Im Bereich Migration hat Serbien angekündigt, die Visa-Liberalisierung mit Indien mit Jahreswechsel zu beenden, mit Tunesien wurde die Visaliberalisierung bereits abgeschafft. Dies könnte auch Auswirkungen auf Österreich haben, wo es bei der Zahl der Asylanträge aus Indien und Tunesien im Herbst eine dramatische Steigerung auf mehr als das Zwanzigfache gegeben hatte.

"Starkes Signal der Annäherung"

Bereits im Vorfeld des Gipfels hatte sich Bundeskanzler Nehammer zum Gipfel geäußert. "Es ist ein starkes Signal der Annäherung, dass der EU-Westbalkangipfel dieses Mal in der Region stattfindet. Ich hoffe, dass wir im Dezember gemeinsam ein ebenso starkes Signal mit der Verleihung des Kandidatenstatus an Bosnien und Herzegowina setzen können", sagte Nehammer. Die Annäherung und enge Verbindung zu den Westbalkanländern sei zudem für Österreich eine historische Selbstverständlichkeit. Für die Europäische Union sei sie auch eine Sicherheitsfrage. "Gerade im Kampf gegen illegale Migration und organisierte Kriminalität müssen wir unsere Zusammenarbeit mit den Westbalkan-Ländern noch weiter stärken", so der Bundeskanzler.

Bilder von diesem Termin sind über das Fotoservice des Bundeskanzleramts kostenfrei abrufbar.