Bundeskanzler Kurz beim Europäischen Rat: Es muss einen Dialog zwischen der EU und Russland geben

Im Mittelpunkt der Tagung am 24. und 25. Juni 2021 in Brüssel standen unter anderem die Covid-19-Pandemie, des Weiteren die Lage auf den verschiedenen Migrationsrouten sowie die Beziehungen der EU zur Türkei und zu Russland.

Council Newsroom

Zu Beginn des Treffens nahm am 24. Juni 2021 der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, teil. Im Fokus des Austausches mit den 27 EU-Staats- und Regierungsspitzen standen multilaterale Themen wie Migration, Klimaschutz und Biodiversität.

Covid-19-Pandemie: Erfreuliche Lage – aber weiterhin "wachsames und koordiniertes" Handeln erforderlich

Der Europäische Rat beriet am 24. und 25. Juni 2021 erneut über zentrale Aspekte der Covid-19-Pandemie, etwa die aktuelle epidemiologische Lage, die Bereitstellung von Impfstoffen, eine Rückkehr zur Freizügigkeit in der EU sowie die Wichtigkeit internationaler Solidarität bei der Impfstoffverteilung. Die Staats- und Regierungsspitzen begrüßten die guten Fortschritte bei den Impfungen und die allgemeine Verbesserung der epidemiologischen Lage. Insgesamt 220 Millionen Europäerinnen und Europäer – das sind 60 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in der EU – seien bis 27. Juni 2021 zumindest einmal geimpft, strich die EU-Kommission hervor. "Der Grund, warum sich die Situation gut entwickelt und wir zur Normalität zurückkehren können, ist die Impfung. Wir haben in Österreich mittlerweile 4,5 Millionen Geimpfte. Der Zeitpunkt, wann es mehr Angebot als Nachfrage geben wird, rückt näher. Mein Appell bleibt daher aufrecht: Bitte geben Sie sich einen Ruck, lassen Sie sich impfen. Sie schützen sich selbst und leisten damit auch einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie", rief Bundeskanzler Sebastian Kurz dazu auf, sich impfen zu lassen. Das Auftreten mutierter Viren erfordere jedoch, "wachsam und koordiniert" zu handeln, so die Schlussfolgerungen. Des Weiteren betonten die EU-Staats- und Regierungsspitzen, wie wichtig die Einigung über das digitale Covid-Zertifikat der EU und über die Überarbeitung der beiden Empfehlungen des Rates zu Reisen innerhalb der EU beziehungsweise zu nicht unbedingt notwendigen Reisen in die EU sei. Die EU-Staaten werden sie so umsetzen, dass damit die vollständige Rückkehr zur Freizügigkeit unterstützt wird, sobald die Lage im Bereich der öffentlichen Gesundheit dies zulässt.

Erste Lehren, welche aus Sicht der Europäischen Kommission aus der Pandemie zu ziehen seien, wurden ebenfalls debattiert. Der Europäische Rat ersuchte den kommenden slowenischen Vorsitz, die Arbeit im Rat voranzubringen, um die gemeinsame Krisenvorsorge, Reaktionsfähigkeit und Resilienz gegenüber künftigen Krisen zu verbessern und das Funktionieren des Binnenmarkts zu schützen.

Beziehungen der EU zu Russland: Bundeskanzler Kurz für Dialog

Der Europäische Rat befasste sich am 24. Juni 2021 erneut mit den Beziehungen zu Russland. Bereits bei der Tagung am 24. und 25. Mai 2021 hatte eine strategische Diskussion zum Thema stattgefunden, in dessen Folge der Hohe Vertreter der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Europäische Kommission einen Bericht verfasst hatten. Gemäß Schlussfolgerungen bekannten sich die 27 Staats- und Regierungsspitzen zu einem einheitlichen, langfristig angelegten und strategischen europäischen Ansatz, der auf den 5 Leitprinzipien beruht. Der Europäische Rat erwarte, so die Schlussfolgerungen, dass die russische Führung ein konstruktiveres Engagement und mehr politischen Willen zeige und gegen die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie gegen Drittländer gerichtete Handlungen einstelle. Die EU-Staaten ersuchten die EU-Kommission und den Hohen Vertreter, Optionen für zusätzliche restriktive Maßnahmen einschließlich Wirtschaftssanktionen vorzulegen. Es gebe "die Notwendigkeit einer entschlossenen und koordinierten Reaktion der EU und ihrer Mitgliedstaaten auf jede weitere böswillige, rechtswidrige und disruptive Aktivität Russlands", heißt es in den Schlussfolgerungen. Zudem sind seitens der EU zusätzliche Hilfen für Staaten, die unter dem Druck Russlands stehen, angedacht. Die Mitglieder des Europäischen Rates verurteilten die Einschränkungen der Grundfreiheiten in Russland und den schrumpfenden Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft.

Zugleich, so die Schlussfolgerungen, soll die Zusammenarbeit der EU mit Russland in Bereichen von gemeinsamen Interessen wie Klimawandel, Gesundheit und punktuell in der Außen- und Sicherheitspolitik intensiviert werden. Der Rat der EU soll "Formate und Bedingungen" für den Dialog mit Russland untersuchen. Damit soll nach Möglichkeiten gesucht werden, nach der Aussetzung der EU-Russland-Gipfeltreffen – zuletzt hatte dieses im Jänner 2014 stattgefunden – mit Russland wieder verstärkt in Kontakt zu treten. Einzelne Staaten, darunter Deutschland, Frankreich oder Österreich, hatten sich dafür eingesetzt, dass es einen Dialog auch auf höchster Ebene geben solle. Als Kompromisslösung sollen nun geeignete Formate und Bedingungen für ein Treffen ausgelotet werden. "Aus unserer Sicht braucht es neben der Reaktion auf Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen zusätzlich auch einen Dialog", betonte auch Bundeskanzler Sebastian Kurz. Man könne auf Gesprächsformate zurückgreifen, wie sie bereits in der Vergangenheit seitens der EU mit verschiedenen Teilen der Welt gehandhabt wurden. Es würde die Union in Summe stärken, wenn sie als Ganzes mit Russland ein Dialogformat habe, so Kurz. Und weiter: "Es braucht eine Strategie im Umgang mit Russland. Wir müssen uns dieser Frage stellen und die Europäische Union darf nicht darauf warten, dass diese Gespräche nicht ausschließlich zwischen dem amerikanischen und russischen Präsidenten stattfinden. Europa ist nicht nur geografisch näher an Russland gelegen, auch viele Herausforderungen wie die Ukraine-Krise treffen uns unmittelbar."

EU-Gipfel in Brüssel

Belarus: Sanktionen in Kraft getreten

Hinsichtlich Belarus begrüßte der Europäische Rat die zeitnahe Durchführung der Maßnahmen im Einklang mit den Schlussfolgerungen von 24. und 25. Mai 2021. Die am 24. Juni 2021 in Kraft getretenen Sanktionen richten sich daher vor allem gegen Staatsunternehmen und sehen eine Beschränkung des Zugangs zum Kapitalmarkt der EU vor. Betroffen sind unter anderem Unternehmen, die mit Erdölerzeugnissen, Kalidüngemitteln und Waren zur Herstellung von Tabakprodukten Geld verdienen. Die 27 Staats- und Regierungsspitzen forderten erneut die unverzügliche Freilassung aller politischen Inhaftierten sowie ein Ende der Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien.

Beziehungen zur Türkei: "stabiles und sicheres Umfeld" im östlichen Mittelmeerraum von Interesse für die EU

Auf der Agenda der Tagung standen zudem die Beziehungen zur Türkei. Die Staats- und Regierungsspitzen verwiesen auf das Interesse der EU an einem "stabilen und sicheren Umfeld" im östlichen Mittelmeerraum sowie an der Entwicklung einer kooperativen Beziehung zur Türkei. Aufgrund der Schlussfolgerungen der letzten Treffen des Europäischen Rates sei man bereit, mit der Türkei unter bestimmten Bedingungen auf abgestufte, verhältnismäßige und umkehrbare Weise Verbindungen aufzubauen. Dies soll vor allem der Intensivierung der Zusammenarbeit in Bereichen von gemeinsamem Interesse dienen. Rechtstaatlichkeit und Grundrechte in der Türkei geben weiterhin Anlass zu großer Sorge, so die Schlussfolgerungen: "Das gezielte Vorgehen gegen politische Parteien, Menschenrechtsverteidiger und -verteidigerinnen sowie Medien stellt einen erheblichen Rückschlag für die Menschenrechte dar und steht im Widerspruch zu den Verpflichtungen der Türkei, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Frauenrechte zu achten." Trotz einer Deeskalation in den letzten Monaten sei die Situation im östlichen Mittelmeerraum, insbesondere betreffend Zypern, weiterhin zu beobachten. Die Mitglieder des Europäischen Rates nahmen zur Kenntnis, dass die Arbeit zur Modernisierung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei auf fachlicher Ebene aufgenommen worden ist, und wiesen erneut darauf hin, dass die derzeitigen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Zollunion beseitigt werden müssen. Sie nahmen auch Kenntnis von den Vorbereitungsarbeiten für die Dialoge auf hoher Ebene mit der Türkei über Themen wie Migration, öffentliche Gesundheit, Klima und Terrorismusbekämpfung sowie regionale Fragen.

Migration: "Ernsthafte Sorge" aufgrund der Entwicklung auf gewissen Migrationsrouten

Auch die externe Dimension von Migration stand auf der Agenda der Tagung. In der Gipfelerklärung warnten die 27 EU-Staats- und -Regierungsspitzen vor steigenden Migrationsbewegungen auf den verschiedenen Routen. Trotz Rückgängen in den vergangenen Jahren würden die Entwicklungen Anlass zu "ernsthafter Sorge" geben und anhaltende Wachsamkeit sowie dringendes Handeln erfordern. Die Staats- und Regierungsspitzen betonten die Bedeutung einer intensiveren Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern, um den Verlust von Menschenleben zu verhindern und den Druck an den EU-Außengrenzen zu verringern.

Die Mitglieder des Europäischen Rates forderten die EU-Kommission auf, unverzüglich Vorschläge zur Fortsetzung der finanziellen Unterstützung für die Versorgung von Flüchtlingen aus Syrien in der Türkei vorzulegen. Erwogen wird ein Betrag von rund 3 Milliarden Euro bis 2024. Weitere 2,2 Milliarden Euro sollten an die Syrien-Nachbarländer Jordanien und den Libanon gehen. Dieses Vorgehen unterstrich auch Bundeskanzler Kurz: "Wir sind gegen illegale Migration und wollen, dass Menschen, die flüchten müssen, in ihren Nachbarländern versorgt werden. Sie sollen nicht nach Mitteleuropa weiterziehen, um sich hier auszusuchen, wo sie ihren Asylantrag stellen. Das betrifft die Türkei und viele andere Länder in der Region. Dort unterstützt Europa, und diesen Weg werden wir weiter fortsetzen."

Bundeskanzler Sebastian Kurz

Euro-Gipfel und Diskussion über die wirtschaftliche Erholung in der EU

Ebenfalls auf der Tagesordnung stand am 25. Juni 2021 ein Euro-Gipfel im so genannten inklusiven Format, sprich, mit allen 27 EU-Staats- und -Regierungsspitzen. Bei der Debatte über die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie stand die Umsetzung von "Next Generation EU" im Fokus. Zudem wurden die Fortschritte im Bereich der Banken- und der Kapitalmarktunion überprüft. "Heute haben wir auch intensiv über die wirtschaftliche Situation in der Europäischen Union gesprochen. Das ist ein Anlass zur Freude, denn der Aufschwung kommt schneller und stärker als erwartet. Alle Prognosen für Österreich, aber auch für andere Mitgliedstaaten, werden laufend nach oben korrigiert. Wir rechnen mittlerweile mit einem Wachstum von 3,5 bis 4 Prozent in diesem Jahr", strich Bundeskanzler Kurz hervor. "Unser Ziel ist ein möglichst rascher Wiederaufbau und eine schnelle Rückkehr zur Normalität."

Umstrittenes Gesetz in Ungarn: "In der EU kein Platz für Hass, Diskriminierung oder Intoleranz"

Nicht auf der Tagesordnung, aber dennoch Thema des Treffens der EU-Staats- und -Regierungsspitzen war ein jüngst in Ungarn beschlossenes Gesetz zur Einschränkung von Information über Homo- und Transsexualität. Die Staats- und Regierungsspitzen von 16 EU-Staaten hatten vor der Tagung in einem Brief an die EU-Spitzen ihre Besorgnis über die Bedrohung von Grundrechten und Diskriminierung sexueller Minderheiten zum Ausdruck gebracht. "Respekt und Toleranz sind das Herzstück des europäischen Projekts. Wir sind entschlossen, diese Anstrengungen fortzuführen und dafür zu sorgen, dass die künftigen Generationen Europas in einem von Gleichberechtigung und Respekt geprägten Umfeld aufwachsen", heißt es in dem Schreiben. Zuvor hatte bereits Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Gesetz als "Schande" bezeichnet und ein entschiedenes Vorgehen der Europäischen Kommission angekündigt.

Bundeskanzler Sebastian Kurz erläuterte die österreichische Position: "Europaministerin Karoline Edtstadler hat ganz bewusst nicht vorschnell reagiert, sondern sich zunächst sehr genau mit der Thematik auseinandergesetzt und auch die ungarische Seite angehört. Ich habe mich dafür entschieden, dass ich den Brief von Xavier Bettel unterstütze, der darauf hinweist, wie wichtig Grundfreiheiten, Grundrechte und Gleichstellung sind." Der Bundeskanzler betonte weiters: "Es darf in der EU keinen Platz für Hass, Diskriminierung oder Intoleranz geben." Ziel Österreichs sei es, dass dies nicht zu einem Auseinanderbrechen in Europa führe, "das sehe ich aber nicht", so der Bundeskanzler. Er wolle, dass Grund- und Freiheitsrechte überall gewahrt werden.

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