Europäischer Rat verhängt weitreichende Sanktionen gegen Belarus

Erzwungene Landung einer Passagiermaschine in Minsk führt zu neuem Sanktionspaket der Europäischen Union gegen Belarus – zudem Kampf gegen Klimawandel, Beziehungen zu Russland und Großbritannien auf der Agenda der Tagung am 24. und 25. Mai 2021 in Brüssel

Präsident des Europäischen Rates Charles Michel, Bundeskanzler Sebastian Kurz, Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen

Die 27 EU-Staats- und -Regierungsspitzen haben bei einer Sondertagung am 24. und 25. Mai 2021 in Brüssel weitreichende Sanktionen gegen Belarus verhängt. Behörden der Republik Belarus hatten am 23. Mai 2021 ein Ryanair-Flugzeug mit mehr als 100 Personen an Bord auf dem Weg von Athen (Griechenland) nach Vilnius (Litauen) zwangsweise zur Landung in der belarussischen Hauptstadt Minsk gebracht und damit internationale Luftverkehrsregeln verletzt. In Minsk wurden in der Folge der Blogger Raman Pratasewitsch und dessen Lebensgefährtin Sofia Sapega inhaftiert, die sich beide an Bord des Flugzeugs befunden hatten.

"Was gestern geschah, ist ein Skandal von internationaler Tragweite. Das Leben europäischer Bürgerinnen und Bürger wurde aufs Spiel gesetzt. Das kann nicht hingenommen werden", unterstrich Ratspräsident Charles Michel zu Beginn der Tagung am 24. Mai 2021. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz bezeichnete sowohl die erzwungene Landung als auch die Verhaftung der beiden Personen in Minsk als "absolut inakzeptabel". "Wir fordern ihre umgehende Freilassung und haben weitere Sanktionen verhängt, um damit ein klares und geeintes Signal zu senden." "Dies ist ein Angriff auf die Demokratie. Dies ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit. Und dies ist ein Angriff auf die europäische Souveränität", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach der Sondersitzung des Europäischen Rates.

Sanktionen gegen Belarus: Lande- und Startverbot für belarussische Flugzeuge in der EU – Freilassung von inhaftiertem Blogger gefordert

Die Maßnahmen der EU reichen über Strafmaßnahmen gegen die politische Führung von Belarus hinaus. So betonen die EU-Staats- und -Regierungsspitzen in den Schlussfolgerungen der Tagung: "Der Europäische Rat verurteilt entschieden die unter Gefährdung der Flugsicherheit erzwungene Landung eines Fluges der Fluggesellschaft Ryanair in Minsk, Belarus, am 23. Mai 2021 und die Festnahme des Journalisten Raman Pratasewitsch und von Sofia Sapega durch die belarussischen Behörden." Der Europäische Rat fordert die "unverzügliche Freilassung" und eine Untersuchung des "beispiellosen und inakzeptablen Vorfalls" durch die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation.

Fluggesellschaften mit Sitz in der EU werden darüber hinaus aufgefordert, den Luftraum über Belarus zu meiden. Zudem fordern die EU-Staats- und -Regierungsspitzen den Rat auf, "die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um Überflüge des EU-Luftraums durch belarussische Fluggesellschaften zu verbieten und den Zugang von Flügen belarussischer Fluggesellschaften zu EU-Flughäfen zu verhindern". Auch die bestehende Sanktionsliste mit Personen und Unternehmen, gegen die bereits Vermögenssperren und Einreiseverbote gelten, soll erweitert werden. In der Republik Belarus gibt es seit der Präsidentenwahl am 9. August 2020 Proteste und Streiks gegen Amtsinhaber Lukaschenko. Die Europäische Union erkennt die Ergebnisse der Wahl nicht an und hat wegen der gewaltsamen Unterdrückung von Protesten bereits im Oktober 2020 Sanktionen – in Form von Vermögenssperren, Einreiseverboten und des Verbots der Geschäftstätigkeit in der EU – gegen die politische Führung und einzelne Unternehmen verhängt.

Präsident des Europäischen Rates Charles Michel

EU-Impfkampagne: Bereits 46 Prozent der EU-Bevölkerung mindestens einmal geimpft – Spenden an ärmere Staaten außerhalb der EU geplant

Die EU-Impfkampagne nimmt weiter an Fahrt auf: Bis 30. Mai 2021 werden 170 Millionen Europäerinnen und Europäer zumindest mit einer Dosis gegen das Coronavirus geimpft sein; das seien 46 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in der Europäischen Union, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen während der Tagung am 25. Mai. Mindestens 70 Prozent der Erwachsenen in der EU sollen die Möglichkeit erhalten, sich im Lauf des Sommers 2021 gegen Covid-19 impfen zu lassen, wenn sie dies wünschen – das ist das Ziel der Europäischen Union. Laut Kommissionspräsidentin von der Leyen ist dies bis Juli 2021 realistisch, jedenfalls für die Erstimpfung. Bis Ende September 2021 sollen die EU-Mitgliedstaaten insgesamt mehr als eine Milliarde Impfdosen gegen das Coronavirus erhalten; damit könnte bis dahin die gesamte infrage kommende Bevölkerung geimpft werden.

Die EU-Staats- und -Regierungsspitzen halten angesichts der Ausweitung der Impfungen schrittweise Öffnungen für möglich und plädieren dabei für ein koordiniertes Vorgehen. Durch die Einigung auf das "digitale grüne Zertifikat" als Nachweis für Impfungen, Tests oder eine überstandene Infektion werde Mobilität wieder leichter möglich. Dennoch sei wegen der Virusvarianten weiterhin Wachsamkeit gefordert, betonte der Europäische Rat. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz strich die Bedeutung des "grünen Zertifikats" hervor, dass EU-weit ab 1. Juli 2021 zum Einsatz kommen soll: "Ich hoffe, dass die Umsetzung überall gut gelingt, denn das ist die Möglichkeit, dass wir alle unsere Grundfreiheiten wieder zurückbekommen und endlich wieder frei reisen können." Gerade für Tourismusländer wie Österreich sei dies auch in puncto wirtschaftliche Erholung und Arbeitsmarkt wichtig.

Bundeskanzler Sebastian Kurz beim EU-Gipfel in Brüssel

Auch auf globaler Ebene engagiert sich die Europäische Union, die weltweit der größte Exporteur von Impfstoffen in Drittländer ist, denn – so die Schlussfolgerungen: "Die Auswirkungen der Pandemie werden nur durch eine umfassende weltweite Reaktion eingedämmt werden können." Bei einem Welt-Gesundheitsgipfel auf Einladung der EU-Kommission und der G20-Länder am 21. Mai 2021 in Rom hatten sich die EU-Staaten darauf verständigt, an der weltweiten Versorgung mit und am gleichberechtigten Zugang zu Impfstoffen mitzuwirken. Die EU-Staats- und Regierungsspitzen einigten sich am 25. Mai 2021 darauf, bis Jahresende 2021 mindestens 100 Millionen Dosen Vakzine an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu spenden. Österreich wird sich daran mit mindestens 2 Millionen Impfdosen beteiligen. Auch soll der Aufbau örtlicher Impfstoff-Fabriken unterstützt werden.

Kampf der EU gegen den Klimawandel: Minus 55 Prozent Emissionen bis 2030 als Ziel

Die EU-Staaten trafen keine neuen Festlegungen zum Klimaschutz, bekräftigten aber allgemein die bereits vereinbarten Klimaziele. Der Europäische Rat hatte im Dezember 2019 das Ziel unterstützt, bis 2050 eine klimaneutrale Union zu erreichen. Ein Jahr später hatte sich der Europäische Rat auf ein verbindliches Ziel der EU geeinigt, die Emissionen bis 2030 intern netto um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern. Im April 2021 war die politische Einigung auf das erste Europäische Klimagesetz erfolgt, mit dem die Klimaziele bis 2030 auch rechtlich verankert werden sollen. Im Juli 2021 plant die EU-Kommission dazu konkrete Gesetzesvorschläge in Form eines umfassenden Pakets namens "Fit for 55" vorzulegen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz betonte: "Österreich steht für ambitionierte Klimaziele – für uns ist aber auch klar, dass jeder Mitgliedstaat seinen Beitrag leisten muss. Wir setzen in Österreich auf erneuerbare Energien und sind davon überzeugt, dass das auch das richtige Konzept für die EU ist. Atomstrom kann keine Alternative zur fossilen Energiegewinnung sein." Die ambitionierten Klimaziele dürften aber nicht zulasten der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaft gehen und einige wenige EU-Mitgliedstaaten benachteiligen, so der Bundeskanzler.

Maschinelle Heuverarbeitung

Weitere Themen: Beziehungen der EU zu Russland und zu Großbritannien – Statements zur Lage im Nahen Osten und in Mali

In einer strategischen Debatte zu Russland verurteilten die 27 EU-Staats- und -Regierungsspitzen die "rechtswidrigen, provokativen und disruptiven russischen Aktivitäten gegenüber der EU, ihren Mitgliedstaaten und darüber hinaus". Die EU stehe angesichts dieser Handlungen weiter einig und solidarisch zusammen und unterstütze die östlichen Partner, heißt es in den Schlussfolgerungen. Die Gespräche zu Russland sollen beim nächsten regulären Europäischen Rat am 24. und 25. Juni 2021 fortgesetzt werden, wo die EU-Kommission und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell einen entsprechenden Bericht vorlegen sollen. Der Europäische Rat bekräftigte zudem sein Bekenntnis zu den 2016 verabschiedeten 5 Grundsätzen der Politik der EU gegenüber Russland:

  • vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zum Konflikt in der Ost-Ukraine als Voraussetzung für eine grundlegende Änderung des Standpunkts der EU gegenüber Russland;
  • verstärkte Beziehungen zu den Ländern der Östlichen Partnerschaft und anderen Nachbarn der EU, darunter Zentralasien;
  • Stärkung der Resilienz der EU in Bereichen wie Energieversorgungssicherheit, hybride Bedrohungen und strategische Kommunikation;
  • selektive Zusammenarbeit mit Russland bei Themen, die für die EU von Interesse sind;
  • Unterstützung persönlicher Kontakte und der Zivilgesellschaft in Russland.

In Bezug auf das Vereinigte Königreich Großbritannien begrüßte der Europäische Rat, dass das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich am 1. Mai 2021 in Kraft getreten ist. Dieses Abkommen bilde gemeinsam mit dem Austrittsabkommen "den Rahmen für unsere Beziehungen zum Vereinigten Königreich", so die EU-27. Beide Abkommen sollten nun "vollständig und wirksam umgesetzt" werden – auch betreffend die Rechte der EU-Bürgerinnen und -Bürger, die Fischerei und gleiche Wettbewerbsbedingungen. Gleichzeitig hielten die EU-Staats- und -Regierungsspitzen fest, dass "ein Nicht-EU-Staat nicht die gleichen Vorteile wie ein Mitgliedstaat genießen kann und dass die Beziehungen stets auf einem ausgewogenen Verhältnis von Rechten und Pflichten beruhen müssen". Die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien sollten "für beide Seiten vorteilhaft bleiben" und dürften die Integrität des Binnenmarkts, die Zollunion oder die Beschlussfassungsautonomie der EU nicht beeinträchtigen.

Zur Lage im Nahen Osten begrüßten die EU-Staats- und -Regierungsspitzen die Waffenruhe in Israel und hielten fest: "Die EU wird weiterhin mit internationalen Partnern zusammenarbeiten, um wieder einen politischen Prozess in Gang zu bringen. Die EU bekräftigt, dass sie entschlossen für eine Zweistaatenlösung eintritt." Auch die Situation in Mali fand Eingang in die Schlussfolgerungen: Der Europäische Rat verurteilte – wie zuvor bereits die Afrikanische Union – die Entführung des Übergangspräsidenten und des Ministerpräsidenten von Mali und forderte deren unverzügliche Freilassung.

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