EU-Gipfel am 15. und 16. Oktober 2020: Covid-19, Brexit, Klimawandel im Fokus

Am 15. und 16. Oktober 2020 nahm Bundeskanzler Sebastian Kurz am Gipfel der EU-Staats- und -Regierungsspitzen in Brüssel teil. Auf der Tagesordnung der Tagung des Europäischen Rates standen die aktuelle epidemiologische Situation mit Covid-19, die Beziehungen zum Vereinigten Königreich (Brexit), der Klimawandel sowie außenpolitische Angelegenheiten

Runder Tisch des Europäischen Rats

Covid-19: Mehr einheitliche Standards bei Reisebeschränkungen und Testungen

Der Europäische Rat hat die aktuelle epidemiologische Situation durch das Coronavirus als "beispiellos" bewertet. Sie gebe Anlass zu ernsthafter Besorgnis für die EU-Mitgliedstaaten. Die Covid-19-Koordinierungsbemühungen der EU in Bezug auf folgende Bereiche sollen fortgesetzt werden:

  • Quarantänevorschriften
  • grenzüberschreitendes "Contact-Tracing"
  • Teststrategien
  • gemeinsame Bewertung von Prüfmethoden
  • vorübergehende Beschränkung nicht wesentlicher Reisen in die EU

Die Staats- und Regierungsspitzen der EU legten auch die nächsten Schritte fest, um die Entwicklung und den Vertrieb von Covid-19-Impfstoffen sicherzustellen. Sie begrüßten die bisher auf EU-Ebene geleistete Arbeit und betonten ferner die Notwendigkeit eines soliden Genehmigungs- und Überwachungsprozesses, des Aufbaus von Impfkapazitäten in der EU sowie eines fairen und erschwinglichen Zugangs zu Impfstoffen. Zum Thema Impfstoffe wird zudem die Zusammenarbeit auf globaler Ebene hervorgehoben.

Bundeskanzler Sebastian Kurz erläuterte Österreichs Vorstellungen zu gemeinsamen Beschlüssen hinsichtlich der Coronavirus-Pandemie: "Die Situation ist in allen Ländern in Europa gleich: Überall steigen die Zahlen massiv an." Alle seien damit konfrontiert, dass man bei einer Fortsetzung des Wachstums an einem problematischen Punkt ankommen würde, etwa da ab einem gewissen Level "Contact Tracing" nicht mehr möglich sei.

Auf europäischer Ebene erwarte man sich daher eine bessere Koordinierung: "Wir glauben, dass die europäische Ampel durch eine stärkere Differenzierung mehr Aussagekraft bekommen sollte. Vor allem braucht es einheitliche Regeln bei Reisen, bei der Quarantänedauer und beim Freitesten." In Europa würden die meisten Staaten auf ein regional abgestuftes Vorgehen, je nach Notwendigkeit, setzen. Letztlich komme es auf jede einzelne Bürgerin, jeden einzelnen Bürger an, so der Bundeskanzler: "Meine große Bitte an die Bevölkerung ist, die Situation ernst zu nehmen, sich bewusst zu sein, dass Partys, gemeinsame Feiern schlicht und ergreifend gefährlich sind. Nicht nur gesundheitspolitisch gefährlich, denn dieses Verhalten kann dazu führen, dass viele Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, weil dramatische Maßnahmen notwendig sind beziehungsweise weil Reisewarnungen dazu führen, dass keine Touristinnen und Touristen mehr kommen oder durch viele Infizierte Betriebe oder ganze Branchen zum Erliegen kommen."

Brexit: Deal ist trotz knapper Zeit bis Jahresende 2020 noch möglich

Flaggen des Vereinigten Königreichs und der Europäischen Union

Die Fortschritte in punkto Brexit in den für die Union interessanten Schlüsselfragen hinsichtlich einer Einigung über das zukünftige Verhältnis sind laut dem Europäischen Rat noch nicht ausreichend, obwohl die Übergangsfrist am 31. Dezember 2020 endet. EU-Chefverhandler Michel Barnier wurde daher ersucht, die Verhandlungen in den nächsten Wochen fortzuführen.

Die Staats- und Regierungsspitzen der EU bekräftigten die Entschlossenheit der EU auf der Grundlage der Verhandlungsrichtlinien vom 25. Februar 2020, eine möglichst enge Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich einzugehen und dabei die zuvor vereinbarten Leitlinien und Erklärungen des Europäischen Rates einzuhalten. Die Staats- und Regierungsspitzen forderten das Vereinigte Königreich auf, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um eine Einigung zu ermöglichen. Sie beschlossen auch, sich verstärkt auf ein "No Deal"-Szenario vorzubereiten. In Bezug auf das von der britischen Regierung vorgelegte Binnenmarktgesetz erinnerte der Europäische Rat daran, dass das Rücknahmeabkommen und seine Protokolle vollständig und rechtzeitig umgesetzt werden müssten.

"Wir hoffen beim Brexit auf einen Deal. Die Staaten haben dem EU-Chefverhandler Michel Barnier ihre Unterstützung zugesagt", so Bundeskanzler Sebastian Kurz. Das vom EU-Chefverhandler durch ambitionierte Gespräche angestrebte Ergebnis sei aber nicht um jeden Preis zu erreichen.

Klimaschutz: Begleitmaßnahmen für den Wirtschaftsstandort Europa

Ministerpräsident der Niederlande Mark Rutte, Präsident des Europäischen Rates Charles Michel, Bundeskanzler Sebastian Kurz

Zum Klimaschutz gab es eine allgemeine Debatte, die beim nächsten EU-Gipfel im Dezember 2020 fortgesetzt wird. Ziel ist, eine Einigung über das neue Klimaziel 2030 zu erreichen und vor Ende des Jahres 2020 einen aktualisierten national festgelegten Beitrag der EU (NDC) zur Umsetzung des Pariser Abkommens dem UNFCCC (Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen; kurz Klimakonvention) zu melden. Der Europäische Rat diskutierte die Forderung der Kommission zur Stärkung der Klimabestrebungen Europas bis 2030, einschließlich des am 17. September vorgeschlagenen Emissionsreduktionsziels von mindestens 55 Prozent, sowie die Maßnahmen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich wären.

Der Europäische Rat sprach sich dabei für eine möglichst kostengünstige Umsetzung aus. Alle Mitgliedstaaten sowie alle einschlägigen EU-Rechtsvorschriften und EU-Politiken sollen zum neuen Ziel beitragen, wobei nationale Gegebenheiten, Überlegungen zu Fairness und Solidarität berücksichtigt, ein "Level Playing Field" (sprich, gleiche Bedingungen und Regeln) sichergestellt und "carbon leakage" (Risiko der Verlagerung der Produktion von Unternehmen in andere Staaten mit weniger strengen CO2‑Emission-Auflagen aufgrund der mit Klimamaßnahmen verbundenen Kosten) verhindert werden sollen. Die EU-Kommission wird ersucht, nach eingehenden Konsultationen mit den Mitgliedstaaten Informationen zur Situation und zu den Auswirkungen auf nationaler Ebene bereitzustellen. Schließlich unterstrich der Europäische Rat die Wichtigkeit einer aktiven europäischen Klimadiplomatie.

"Wir sind für ambitionierte Klimaziele und dafür, dass wir auf internationaler Ebene gegen den Klimawandel ankämpfen. Wichtig ist es, gleichzeitig über Begleitmaßnahmen zu sprechen, wie wir den Wirtschaftsstandort Europa schützen können", betonte Bundeskanzler Kurz. Es könne nicht sein, dass Europa Produktionsstandards erhöhe, während in anderen Teilen der Welt Waren zu niedrigeren Standards hergestellt werden und "wir diese Produkte in die Länder der Europäischen Union importieren, was Arbeitsplätze in Europa vernichtet". Die österreichische Position habe bei der Debatte viel Zuspruch erhalten, so der Kanzler abschließend.

Außenpolitische Themen auf der Agenda: Beziehungen der EU zur Türkei sowie zu Afrika

Der Europäische Rat bekräftigt nochmals seine Schlussfolgerungen vom Sondergipfel im Oktober 2020 und bedauert die erneuten einseitigen sowie provokativen Maßnahmen der Türkei im östlichen Mittelmeerraum, einschließlich der jüngsten Erkundungsaktivitäten. "Es ist klar festgehalten worden, dass, wenn die Türkei ihre Provokationen nicht einstellt, mit Sanktionen reagiert werden muss. Ich halte das für den einzig gangbaren Weg. Die Türkei geht gewaltsam gegen politisch Andersdenkende sowie Journalistinnen und Journalisten vor", betonte Bundeskanzler Sebastian Kurz. Das Land agiere in der Migrationsfrage kritisch, indem sie Migrantinnen und Migranten als "Waffe" verwende. Zudem gebe es nicht hinnehmbare Völkerrechtsverletzungen gegenüber Griechenland und Zypern.

Die EU misst der Stärkung ihrer strategischen Beziehungen zu Afrika und ihrer Partnerschaft mit der Afrikanischen Union, die weiterhin auf gegenseitigen Interessen und gemeinsamer Verantwortung beruhen, hohe Priorität bei. Im gegenwärtigen Kontext seien Solidarität und enge Zusammenarbeit im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie, einschließlich der Entwicklung von Impfstoffen und ihrer Verbreitung, von entscheidender Bedeutung. Der Europäische Rat hat sich verpflichtet, die Unterstützung der EU für die Gesundheitssysteme zu stärken und die Bereitschaft und Reaktionsfähigkeit der Partner zu stärken. Was das Verhältnis der Europäischen Union zu den Staaten Afrikas betrifft, wolle man alles für eine positive Entwicklung des Kontinents und umfassende Beziehungen tun, strich auch Bundeskanzler Sebastian Kurz hervor: "Das bedeutet, dass wir neben der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe alles versuchen, um die wirtschaftliche Dynamik zu unterstützen. Einige Ideen des EU-Afrika-Gipfels während des österreichischen Ratsvorsitzes werden massiv weiterverfolgt", so der Bundeskanzler. Parallel zur "grünen" und digitalen Transformation der Europäischen Union möchten die EU-Institutionen und EU-Mitgliedstaaten ihre Partnerschaft mit Afrika im Hinblick auf die wirtschaftliche Transformation und das gegenseitige Investitionspotential ausbauen. Die EU-Länder hätten sich laut Bundeskanzler Kurz in ihren Gipfelschlussfolgerungen klar darauf verständigt, dass das Thema Rückführungen und der Kampf gegen illegale Migration und Schlepper zentral in den Beziehungen zu Afrika sein müsste. Man erwarte sich, dass afrikanische Länder illegale Migrantinnen und Migranten zurücknehmen würden.

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