Startschuss für EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien

Verhandlungen zum EU-Beitritt der beiden Westbalkanstaaten haben offiziell begonnen – Nordmazedonien ist seit 2005, Albanien seit 2014 Beitrittskandidat – Start der Gespräche für EU-Ratspräsident Charles Michel "historischer Tag" – Europaministerin Edtstadler: "Westbalkan-Erweiterung ist Frage der Sicherheit und der Glaubwürdigkeit für die EU"

Ministerpräsident der Tschechischen Republik Petr Fiala, Ministerpräsident von Nordmazedonien Dimitar Kovacevski, Ministerpräsident von Albanien Edi Rama, Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen

Am 19. Juli 2022 hat die EU die Eröffnungsphase der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien eingeleitet. Denn an diesem Tag fanden 2 Regierungskonferenzen auf Ministerinnen- und Ministerebene mit den beiden Staaten statt – ein wesentlicher Schritt für die beiden Westbalkan-Länder auf dem Weg in die Europäische Union.

Vor diesem Hintergrund empfingen die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und der tschechische Ministerpräsident, Petr Fiala (als Vertreter für den aktuellen tschechischen EU-Ratsvorsitz), den nordmazedonischen Ministerpräsidenten, Dimitar Kovačevski, und dessen albanischen Amtskollegen, Edi Rama, in Brüssel. Der Start der Beitrittsverhandlungen folgt auf den Beschluss des Rates vom 25. März 2020 über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, der von den Mitgliedern des Europäischen Rates am 26. März 2020 gebilligt worden war, sowie die Billigung des Verhandlungsrahmens für die Verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien durch den Rat der EU am 18. Juli 2022, im Einklang mit der überarbeiteten Verfahrensweise bei der Erweiterung.

Europaministerin Edtstadler: Westbalkan-Erweiterung als "Frage der Sicherheit und der Glaubwürdigkeit der EU"

Europaministerin Karoline Edtstadler betonte: "Die Westbalkan-Erweiterung ist eine Frage der Sicherheit für die Europäische Union, und eine Frage der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union. Der längst überfällige Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien ist daher ein wichtiger Moment für die beiden Staaten, für die gesamte Westbalkanregion und für die EU. Wir brauchen nun rasch greifbare Resultate. Das haben sich die Beitrittskandidaten und die Menschen in der Region nach Jahren in der Warteschleife verdient."

EU-Ratspräsident Michel: "Der Westbalkan gehört in die EU, und wir müssen dies ermöglichen"

Der Präsident der Europäischen Rates, Charles Michel, erklärte: "Wir haben bei der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien endlich wichtige Schritte nach vorne getan. Ich gratuliere den Behörden und den Bürgerinnen und Bürgern Nordmazedoniens und Albaniens zu dieser lang erwarteten Leistung. Dies ist ein historischer Tag und eine Zeit, um das Erreichte zu feiern, aber auch eine Zeit, um die bevorstehenden Herausforderungen mit einem klaren Ziel zu betrachten. Wir werden die schrittweise Integration der EU und der Region bereits während des Erweiterungsprozesses weiter vorantreiben. Der Westbalkan gehört in die EU, und wir müssen dies ermöglichen. Unsere Zukunft ist zusammen, und die Zukunft unserer Kinder wird wohlhabender und sicherer sein, wenn wir unser Projekt der gemeinsamen Werte vorantreiben."

Für den tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala stellt die Eröffnung der Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien "einen bedeutenden Tag für Europa" dar. "Beide Länder bekunden den starken Willen, so bald wie möglich EU-Mitgliedstaaten zu werden." Tschechien sei geehrt, dass ein solcher Fortschritt während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2022 stattfinde, so Fiala, der sich in diesem Zusammenhang auch bei Frankreich, das im ersten Halbjahr 2022 den EU-Ratsvorsitz innegehabt hatte, für die "harte Arbeit, die uns zu diesem Moment geführt hat", bedankte.

Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte den Beginn der Beitrittsverhandlungen: "Was für ein historischer Moment. Das ist Ihr Erfolg. Es ist Ihr Erfolg und der Erfolg Ihrer Bürgerinnen und Bürger." Von der Leyen hob die Vorteile einer klaren europäischen Perspektive für die beiden Staaten hervor: "Es wird einen Schub bei den Investitionen geben. Es wird verbesserte Handelsbeziehungen geben. In Schlüsselbereichen wie Energie oder Verkehr wird es eine engere Zusammenarbeit geben. Sie maximieren die Nutzung und die Wirkung von EU-Mitteln. Das bedeutet neue Arbeitsplätze, neue Geschäftsmöglichkeiten. Darauf haben Ihre Bürgerinnen und Bürger so lange gewartet und so hart gearbeitet – und das ist es, was sie verdienen." Abschließend betonte die Kommissionspräsidentin die bereits vorhandenen, engen Beziehungen der beiden Länder mit der EU, vor allem vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine: "Und nicht nur, aber vor allem in diesen herausfordernden Zeiten des brutalen Krieges haben Sie immer wieder Ihre Verbundenheit mit europäischen Werten bewiesen, als wahre Freunde und wahre Partner. Und dafür möchte ich Ihnen persönlich danken. Die Menschen in Albanien und Nordmazedonien haben es verdient. Und wir alle werden davon profitieren, wenn wir eines Tages Albanien und Nordmazedonien als vollwertige Mitglieder unserer Europäischen Union willkommen heißen", so von der Leyen.

Die europäische Perspektive von Nordmazedonien und Albanien

Die Republik Nordmazedonien hatte ihren EU-Beitrittsantrag am 22. März 2004 eingereicht, der Status eines Kandidatenlandes ist 2005 zuerkannt worden. Eine strittige Namensfrage mit Griechenland konnte mit dem In-Kraft-Treten des "Prespa-Abkommens" im Februar 2019 gelöst werden. Weitere bilaterale Punkte zwischen Nordmazedonien und Bulgarien – etwa betreffend die Interpretation der gemeinsamen Geschichte sowie die Rechte der ethnischen Minderheit – konnten durch ein im Juli 2022 von beiden Staaten unterzeichnetes Protokoll einer Lösung zugeführt werden. Der EU-Beitrittsantrag Albaniens war im Jahr 2009 eingereicht worden, 2014 wurde Albanien offiziell Kandidatenland.

Die EU setzt sich seit Jahren für die europäische Perspektive der 6 Staaten des Westbalkans ein, unterhält enge Verbindungen zu ihnen und arbeitet in einer Reihe wichtiger Bereiche eng mit ihnen zusammen. Darüber hinaus leistet die EU umfangreiche Hilfe und finanzielle Unterstützung für die Region. Für die 6 Westbalkan-Staaten stellt die EU mit 69 Prozent an Handelsvolumen den mit Abstand größten Handelspartner dar, zudem ist die Europäische Union in puncto ausländischer Direktinvestitionen Nummer 1 in der Region. Alle Partner des Westbalkans haben ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU geschlossen. Die wichtigsten Ziele des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses (SAP) sind die politische Stabilisierung und die Entwicklung einer funktionierenden Marktwirtschaft sowie die Förderung der regionalen Zusammenarbeit. Aus diesem Grund wird der SAP auch als Vorstufe des eigentlichen EU-Beitritts bezeichnet.

Um die Reformbemühungen zu fördern, haben Kandidatenländer zudem die Möglichkeit, über die "Heranführungsstrategie" an EU-Programmen teilzunehmen. In diesem Rahmen fördert die EU Reformen in den Kandidatenländern und potenziellen Beitrittsländern mit dem "Instrument für Heranführungshilfe" ("Instrument for Pre-Accession Assistance", IPA) durch finanzielle und technische Hilfe. Zentrale Ziele dabei sind die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und demokratischen Institutionen sowie die Reform der öffentlichen Verwaltung, die auch durch durch gezielte Verwaltungspartnerschaften (sogenanntes "Twinning" und TAIEX, kurz für "Technical Assistance and Information Exchange Instrument") zwischen EU-Mitgliedstaaten und beitrittswilligen Ländern verfolgt werden.

Überblick: "Bewerberländer" und "potenzielle Beitrittskandidaten"

Offizielle "Bewerberländer" sind die nachfolgenden Länder (Stand Juli 2022):

  • Albanien
  • Moldau
  • Montenegro
  • Nordmazedonien
  • Serbien
  • Türkei
  • Ukraine

Diese Staaten sind "potenzielle Beitrittskandidaten" (Stand Juli 2022):

  • Bosnien und Herzegowina
  • Georgien
  • Kosovo

Hintergrund: Wie wird ein Land EU-Mitgliedstaat?

Das EU-Beitrittsverfahren ist ein auf Einstimmigkeit basierender, mehrstufiger Prozess:

  • Jeder europäische Staat kann einen Antrag zur Aufnahme in die Europäische Union stellen. Voraussetzung ist, dass das Land die Werte der EU achtet und fördert. Zu diesen gehört unter anderem das Bekenntnis zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte, der Grundfreiheiten und der Prinzipien der Rechtstaatlichkeit.
  • Möchte ein Land der EU beitreten, muss es als Erstes einen Beitrittsantrag an den Rat der Europäischen Union stellen. Dieser leitet den Beitrittsantrag unverzüglich an die Europäische Kommission weiter, welche ihn anhand der Beitrittskriterien prüft und eine Stellungnahme ("Avis") zu möglichen Verhandlungen abgibt. Das Europäische Parlament wird über den Antrag unterrichtet. Im "Avis" der Kommission sind auch Empfehlungen für weitere Annäherungsschritte enthalten. Je nach Vorbereitungsstand des Landes hinsichtlich der Erfüllung der Beitrittskriterien empfiehlt die Kommission die Verleihung des Kandidatenstatus oder Vorgaben ("Benchmarks"), die das Land zunächst noch erfüllen muss (potenzieller Beitrittskandidat).
  • Im nächsten Schritt entscheidet der Rat der Europäischen Union – auf der Grundlage der Stellungnahme – ob er dem Land den Kandidatenstatus verleiht. Die Zustimmung muss einstimmig erfolgen.
  • Ist der Status eines Beitrittskandidaten verliehen, können die Beitrittsverhandlungen anvisiert werden. Die Europäische Kommission überwacht ab dieser Phase bis zum EU-Beitritt die Reformfortschritte des Landes im Rahmen des sogenannten "Monitorings" und hält die Entwicklungen in jährlichen Fortschrittsberichten und Strategiepapieren fest. Darin wird der Stand der Verhandlungen und die Entwicklung des Beitrittskandidaten in Bezug auf die Anpassung an die EU-Anforderungen beschrieben.
  • Sind erste ausreichende Fortschritte erzielt, wird die Europäische Kommission Empfehlungen für die Eröffnung der eigentlichen Beitrittsverhandlungen aussprechen. Auch darüber muss der Rat der EU einstimmig entscheiden und ein Mandat zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erteilen.
  • Dabei muss sich die Europäische Kommission davon überzeugen, dass das Kandidatenland 3 Bedingungen, die sogenannten "Kopenhagener Kriterien", erfüllt. Die "Kopenhagener Kriterien" umfassen:
    • das "politische Kriterium": institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten;
    • das "wirtschaftliche Kriterium": eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarktes standzuhalten;
    • das "Acquis-Kriterium": die Fähigkeit, sich die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele zu eigen zu machen, das heißt: die Übernahme des gesamten gemeinschaftlichen Rechts, des "gemeinschaftlichen Besitzstandes" (Französisch: "acquis communautaire"). 

Zusätzlich muss auch die EU in der Lage sein, einen neuen Mitgliedstaat aufzunehmen.

  • Sind die Beitrittsverhandlungen gestartet, ist es das Ziel, in 35 thematischen Kapiteln die einzelnen Bereiche zu verhandeln. Ziel ist die vollständige Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes der EU.
    • Die Europäische Kommission prüft im Rahmen eines sogenannten "Screenings" für jedes Verhandlungskapitel, inwieweit das nationale Recht des Beitrittskandidaten vom "Acquis" abweicht und entsprechender Anpassung bedarf. Die Europäische Kommission informiert den Rat der EU über die Ergebnisse des "Screenings" in einem Bericht und spricht auf dieser Basis die Empfehlung zur Eröffnung bestimmter Verhandlungskapitel aus. Die tatsächliche Eröffnung eines Verhandlungskapitels erfordert sodann eine einstimmige Entscheidung des Rates.
    • Die EU legt Wert darauf, dass bereits in einem frühen Stadium Fortschritte bei grundlegenden Beitrittsvoraussetzungen wie Rechtstaatlichkeit, Grundrechten, der Stärkung demokratischer Institutionen und der Unabhängigkeit der öffentlichen Verwaltung erzielt werden ("fundamentals first").
    • Die Verhandlungen dauern normalerweise mehrere Jahre; einen Zeitrahmen für die EU-Mitgliedschaft gibt es nicht. Denn das Tempo bei den Beitrittsgesprächen hängt davon ab, wie schnell ein Land notwendige Reformen einleitet, umsetzt und die Anwendung der EU-Gesetze und Vorschriften gewährleisten kann.
  • Sehen alle Mitgliedstaaten die Schließungsbedingungen für ein bestimmtes Kapitel als erfüllt an, kann das Verhandlungskapitel vorläufig geschlossen werden.
  • Sobald alle Kapitel abgeschlossen sind, empfiehlt die Kommission den Beitrittskandidaten für die Mitgliedschaft.
  • Nach Abschluss der Verhandlungen wird ein Beitrittsvertrag entworfen, der die Ergebnisse der Verhandlungen enthält (etwaige Übergangsfristen und Schutzklauseln, Bestimmungen über notwendige Anpassungen der europäischen Institutionen und Verträge sowie das voraussichtliche Beitrittsdatum). Bevor der Beitrittsvertrag von den EU-Mitgliedstaaten und dem Beitrittskandidaten unterzeichnet werden kann, müssen der Rat der EU, die Europäische Kommission sowie das Europäische Parlament zustimmen. Mit der Unterzeichnung des Vertrags erhält das Beitrittsland den Status eines "beitretenden Staates" und damit gewisse Vorrechte bis zum endgültigen EU-Beitritt. So kann das Land bereits in diesem Stadium des Beitrittsprozesses an Sitzungen der EU-Organe als "aktiver Beobachter" teilnehmen und besitzt dort ein Rede-, aber kein Stimmrecht.
  • Anschließend erfolgt die Ratifizierung (In-Kraft-Setzung) des Beitrittsvertrags durch jeden EU-Mitgliedstaat und den Beitrittskandidaten, in Übereinstimmung mit den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften. Ist dieser Prozess abgeschlossen – und nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden – tritt der Beitrittsvertrag zum vorgesehenen Datum in Kraft und besiegelt damit die Vollmitgliedschaft des beitretenden Staates.

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