Rat der Innenministerinnen und -minister: Einigung über wichtige Asyl- und Migrationsgesetze

Vorprüfungen von Asylanträgen von Personen mit geringen Aufnahmechancen an EU-Außengrenzen sowie Verteilung von Asylsuchenden im Fokus – 2 Rechtsakte sind Teil des von der Kommission im September 2020 vorgelegten Migrations- und Asylpakets – Einigung auf Verhandlungsposition Basis für Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament

Armbinde einer Frontex Grenzwache

Der Rat der Innenministerinnen und -minister ist am 8. Juni 2023 einen wesentlichen Schritt vorangekommen, was die Reform der Migrations- und Asylvorschriften der EU betrifft: Er hat sich auf eine Verhandlungsposition (allgemeine Ausrichtung) zur Asylverfahrens-Verordnung (APR) und zur Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement (AMMR) geeinigt. Beide Rechtsakte sind Teil des Migrations- und Asylpakets, welches die Europäische Kommission am 23. September 2020 vorgelegt hatte. Ziele sind die Straffung von Asylverfahren, die Beschleunigung der Durchführung von Grenzverfahren und ein neuer Solidaritätsmechanismus. Die Ministerinnen und Minister diskutierten zudem die externe Dimension der Migration, vor allem die Zusammenarbeit der EU mit Drittstaaten.

Bundeskanzler Nehammer: "Verpflichtende Verfahren an der Außengrenze erster wichtiger Schritt"

Bundeskanzler Karl Nehammer betonte: "Die EU-Innenministerinnen und -minister haben sich auf die Verschärfung der Asylregeln geeinigt – das war längst überfällig. Die verpflichtenden Verfahren an der Außengrenze sind ein erster wichtiger Schritt. Damit wird eine Forderung Österreichs umgesetzt, für die wir auf allen Ebenen gekämpft haben." Der Bundeskanzler unterstrich das Erfordernis einer "Totalreform der Asylpolitik in der EU". Nehammer: "Wir müssen verhindern, dass sich irreguläre Migrantinnen und Migranten auf den Weg nach Europa machen. Um den unkontrollierten Migrationszustrom einzudämmen, braucht es Asylverfahren in Drittstaaten – dafür werden wir weiterhin werben und kämpfen."

Auch Innenminister Gerhard Karner meinte: "Allein im vergangenen Jahr sind zumindest 2.500 Migrantinnen und Migranten im Meer ertrunken. Das zeigt dramatisch, dass das derzeitige Asyl-System kaputt ist. Wir müssen daher in der Europäischen Union weiter an neuen und besseren Regelungen arbeiten." Österreich zähle zu den ersten Ländern, die sich für einen funktionierenden Außengrenzschutz und schnelle Asylverfahren an der EU-Außengrenze eingesetzt haben, denn, so Karner: "Dies entzieht den Schleppern die Geschäftsgrundlage und verhindert Asylmissbrauch und illegale Migration."

Die Einigung im Überblick

Cecilia Malmström besucht das Frontex Grenzgebiet in Griechenland

Zu den wichtigsten Elementen der Einigung zählen die folgenden Punkte:

  • Straffung des Asylverfahrens:
    Mit der Asylverfahrens-Verordnung (APR) wird in der gesamten EU ein gemeinsames Verfahren eingeführt, das die Mitgliedstaaten einhalten müssen, wenn Personen um internationalen Schutz nachsuchen. Sie strafft die Verfahrensmodalitäten (etwa die Dauer des Verfahrens) und legt Standards für die Rechte des Asylsuchenden fest (etwa die Bereitstellung einer Dolmetscherin, eines Dolmetschers oder der Anspruch auf Rechtsberatung und ‑vertretung). Die Verordnung zielt auch darauf ab, einen Missbrauch des Systems zu verhindern, da für Antragstellerinnen und  Antragsteller klare Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit den Behörden während des gesamten Verfahrens festgelegt werden.
  • Grenzverfahren:
    Mit der APR werden auch verbindliche Verfahren an der Grenze eingeführt, damit an den Außengrenzen der EU rasch festgestellt wird, ob Anträge unbegründet oder unzulässig sind. Personen, die dem Asylverfahren an der Grenze unterliegen, dürfen nicht in das Hoheitsgebiet des EU-Mitgliedstaats einreisen. Das Verfahren an der Grenze würde zur Anwendung kommen, wenn Asylsuchende an einer Außengrenzübergangsstelle einen Antrag stellen, nachdem sie im Zusammenhang mit einem illegalen Grenzübertritt aufgegriffen und nach einer Such- und Rettungsaktion ausgeschifft wurden. Das Verfahren ist für die EU-Mitgliedstaaten obligatorisch, wenn die Antragstellenden eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung darstellen, wenn sie die Behörden durch falsche Angaben oder durch Zurückhalten von Informationen getäuscht haben und auch bei Angehörigen eines Drittstaats mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent. Die Höchstdauer des Asyl- und Rückkehrverfahrens an der Grenze sollte 6 Monate nicht überschreiten.
  • Angemessene Kapazität:
    Zur Durchführung von Verfahren an der Grenze müssen die EU-Mitgliedstaaten angemessene Aufnahme- und Personalkapazitäten aufbauen, wie sie erforderlich sind, um jederzeit eine bestimmte Zahl von Anträgen zu prüfen und Rückkehrentscheidungen vollstrecken zu können. Auf EU-Ebene beträgt diese angemessene Kapazität 30.000. Die angemessene Kapazität jedes EU-Mitgliedstaats wird anhand einer Formel festgelegt, welche die Zahl der irregulären Grenzübertritte und Einreiseverweigerungen über einen Zeitraum von 3 Jahren berücksichtigt.
  • Änderung der Dublin-Vorschriften:
    Die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement (AMMR) soll die geltende Dublin-Verordnung ersetzen, sobald sie vereinbart ist. Die Dublin-Verordnung enthält Vorschriften zur Bestimmung des EU-Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Mit der Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement werden diese Vorschriften gestrafft und die Fristen verkürzt. So wird beispielsweise das derzeitige komplexe Wiederaufnahmeverfahren zur Überstellung einer Antragstellerin, eines Antragstellers in den für seinen Antrag zuständigen EU-Mitgliedstaat durch eine einfache Wiederaufnahmemitteilung ersetzt.
  • Neuer Solidaritätsmechanismus:
    Dieser soll einfach, berechenbar und praktikabel sein. Die neuen Vorschriften kombinieren verbindliche Solidarität mit Flexibilität für die EU-Mitgliedstaaten bei der Wahl der einzelnen Beiträge. Diese Beiträge umfassen Übernahmen, Finanzbeiträge oder alternative Solidaritätsmaßnahmen wie die Entsendung von Personal oder Maßnahmen mit Schwerpunkt auf Kapazitätsaufbau. Es liegt im uneingeschränkten Ermessen der EU-Mitgliedstaaten, welche Form der Solidarität sie leisten. Kein Mitgliedstaat wird jemals verpflichtet sein, Übernahmen vorzunehmen.
    • Es wird eine jährliche Mindestanzahl für Übernahmen aus EU-Mitgliedstaaten, in denen die meisten Personen in die EU einreisen, in EU-Mitgliedstaaten geben, die weniger stark von solchen Ankünften betroffen sind. Diese Zahl wird auf 30.000 festgesetzt, während die jährliche Mindestzahl für Finanzbeiträge auf 20.000 Euro pro Übernahme festgesetzt wird. Diese Zahlen können bei Bedarf erhöht werden. Zudem werden Situationen berücksichtigt, in denen in einem bestimmten Jahr kein Solidaritätsbedarf vorgesehen ist.
    • Um eine möglicherweise unzureichende Zahl zugesagter Übernahmen auszugleichen, werden als sekundäre Solidaritätsmaßnahme Verrechnungen der Verantwortlichkeit für von Solidarität begünstigte EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, dass der beitragende EU-Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrags von Personen übernimmt, die unter normalen Umständen in den zuständigen EU-Mitgliedstaat (begünstigter EU-Mitgliedstaat) überstellt würden. Diese Regelung wird verbindlich, wenn die Übernahmezusagen unter 60 Prozent des vom Rat für das betreffende Jahr ermittelten Gesamtbedarfs liegen oder die in der Verordnung festgelegte Zahl (30.000) nicht erreichen.
  • Bekämpfung von Missbrauch und Sekundärmigration:
    Die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement (AMMR) enthält auch Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch durch Asylbewerbende und zur Vermeidung von Sekundärmigration (wenn eine Migrantin, ein Migrant das Land verlässt, in dem sie oder er zuerst angekommen ist, um woanders Schutz zu suchen oder eine dauerhafte Neuansiedlung zu erreichen). Die Verordnung sieht beispielsweise vor, dass Asylbewerbende im EU-Mitgliedstaat der ersten Einreise oder des rechtmäßigen Aufenthalts einen Antrag stellen müssen. Sekundärbewegungen sollen verhindert werden, indem die Möglichkeiten für die Übertragung oder Verschiebung der Zuständigkeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten eingeschränkt werden, wodurch für die Antragstellenden die Möglichkeiten eingeschränkt werden, jenen EU-Mitgliedstaat, in dem sie ihren Antrag stellen, auszuwählen.
    Während in der neuen Verordnung die wichtigsten Vorschriften über die Bestimmung der Zuständigkeit beibehalten werden sollen, umfassen die vereinbarten Maßnahmen geänderte Fristen für ihre Dauer:
    • Der EU-Mitgliedstaat der ersten Einreise ist für die Dauer von 2 Jahren für den Asylantrag zuständig;
    • Wenn ein Land eine Person in den EU-Mitgliedstaat überstellen möchte, der tatsächlich für die Migrantin, den Migranten zuständig ist, und diese Person flüchtig ist (etwa untertaucht, um sich einer Überstellung zu entziehen), wird die Zuständigkeit nach 3 Jahren auf den überstellenden EU-Mitgliedstaat übergehen;
    • Lehnt ein EU-Mitgliedstaat eine Antragstellerin, einen Antragsteller im Grenzverfahren ab, so erlischt seine Zuständigkeit für diese Person nach 15 Monaten (im Falle eines erneuten Antrags).

Die nächsten Schritte

Die Einigung über die Verhandlungsposition des Rates zu den beiden Rechtsakten (allgemeine Ausrichtung) bildet die Grundlage für die Verhandlungen des EU-Ratsvorsitzes mit dem Europäischen Parlament.

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