Erweiterungspaket 2022: Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina empfohlen

Erweiterungspaket 2022 der Europäischen Kommission analysiert Reformbedarf in den Staaten des Westbalkans sowie der Türkei – Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina empfohlen – EU-Außenbeauftragter Borrell: EU-Erweiterung als "langfristige Investition in Frieden, Wohlstand und Stabilität für unseren Kontinent"

Alte Brücke in der historischen Altstadt von Mostar

Die Europäische Kommission hat am 12. Oktober 2022 ihr Erweiterungspaket 2022 angenommen. Es enthält eine ausführliche Bewertung des Stands und der Fortschritte, welche die 6 Westbalkan-Länder und die Türkei auf ihrem jeweiligen Weg in Richtung EU erzielt haben. Der Fokus liegt dabei auf der Durchführung grundlegender Reformen und auf klaren Orientierungshilfen für künftige Reformprioritäten.

Die Kommission hob hervor, dass die EU die Reformbemühungen auch künftig unterstützen und die Integration des Westbalkans beschleunigen werde. So erklärte Olivér Várhelyi, Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung, bei der Vorstellung des Erweiterungspakets, das die Mitteilung über die Erweiterungspolitik der EU und die jährlichen Fortschrittsberichte umfasst: "Bei unseren Berichten handelt es sich um sachliche und faire Bewertungen; und sie geben klare Orientierungshilfen, damit unsere Partner feststellen können, wo sie das Reformtempo anziehen müssen, um voranzukommen. Es gibt keine Alternative, und es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, den Integrationsprozess zu beschleunigen, beginnend mit den Westbalkan-Ländern, in denen wir seit vielen Jahren investieren, um sie näher an die EU heranzuführen."

Empfehlung der Kommission für Zuerkennung des Kandidatenstatus' an Bosnien und Herzegowina

Die Europäische Kommission empfiehlt, dass der Rat Bosnien und Herzegowina den Status eines Kandidatenlandes zuerkenne, unter dem Vorbehalt, dass in dem Land eine Reihe von Schritten zur Stärkung der Demokratie, der Funktionsfähigkeit staatlicher Stellen und der Rechtsstaatlichkeit, zur Bekämpfung von Korruption und organisiertem Verbrechen, zur Gewährleistung der Medienfreiheit und zur Migrationssteuerung unternommen wird. Bosnien und Herzegowina hatte 2016 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt.

Die Entscheidung habe auch "eine neue geopolitische Bedeutung" und sei so zu verstehen, betonte Josep Borrell, Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Europäischen Kommission: "Russlands brutale Invasion der Ukraine hat verdeutlicht, wie wichtig die Erweiterung der EU ist. Sie ist eine langfristige Investition in Frieden, Wohlstand und Stabilität für unseren Kontinent." Olivér Várhelyi, Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung, ergänzte: "Die Empfehlung, den Kandidatenstatus zu gewähren, ist ein historischer Moment für die Menschen von Bosnien und Herzegowina. Ich fordere die Führungsspitzen des Landes nachdrücklich auf, diese historische Chance zu ergreifen und die in unserer Empfehlung genannten Schritte zügig anzugehen."

Bundeskanzler Karl Nehammer sprach von einem "historischen Schritt für Bosnien und Herzegowina". Nehammer ging auf die unterstützende Rolle Österreichs ein: "Österreich war in der EU von Beginn an Tempomacher in der Frage des EU-Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina." Europaministerin Karoline Edtstadler unterstrich: "Die Empfehlung der Europäischen Kommission, Bosnien und Herzegowina den Kandidatenstatus zu verleihen, ist ein wichtiger Meilenstein, auf den Österreich seit langem hin gedrungen hat. Das Land hat wichtige Schritte gesetzt und gezeigt, dass es Schwierigkeiten überwinden kann."

Übersicht: Einzelheiten zu den Feststellungen und Empfehlungen zu den einzelnen Ländern

  • Montenegro:
    Für weitere Gesamtfortschritte in den Beitrittsverhandlungen hat für Montenegro die Erfüllung der in den Kapiteln 23 und 24 festgelegten vorläufigen Benchmarks für die Rechtsstaatlichkeit weiterhin Vorrang. Zu diesem Zweck müsse Montenegro, so der Bericht, seine Anstrengungen zur Lösung der noch offenen Fragen intensivieren, auch in den kritischen Bereichen Meinungs- und Medienfreiheit, Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität sowie Glaubwürdigkeit der Justiz. Zur Schaffung einer stabilen Regierung und eines breiten politischen Konsens' im Parlament über wichtige Reformen seien politische Stabilität und das konstruktive Engagement aller Interessenträgerinnen und -träger erforderlich.
  • Serbien:
    Serbien sollte vorrangig eine Regierung bilden, die sich klar zur strategischen Ausrichtung und zum Reformpfad hin zur EU bekennt, so der Bericht. Es seien noch weitere Anstrengungen und mehr politisches Engagement erforderlich, um die Reformen fortzusetzen und zu vertiefen sowie Mängel zu beheben, insbesondere in den Schlüsselbereichen Justiz, Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, Medienfreiheit, Versammlungsfreiheit und innerstaatlicher Umgang mit Kriegsverbrechen. Serbien müsse außerdem der Angleichung an die Außen- und Sicherheitspolitik der EU größere Priorität beimessen und rigoros gegen alle Formen von Desinformation vorgehen.
  • Albanien:
    Für das Land begann nach der ersten Regierungskonferenz über die Beitrittsverhandlungen am 19. Juli 2022 eine neue Phase in den Beziehungen zur EU. Albanien müsse seine Anstrengungen in den Schlüsselbereichen Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität weiter verstärken, macht der Länderbericht klar, und zudem auch die Bereiche Eigentumsrechte, Minderheitenfragen und Recht auf freie Meinungsäußerung angehen.
  • Nordmazedonien:
    Ähnlich wie in Albanien fand auch in Nordmazedonien im Juli 2022 die erste Regierungskonferenz über die Beitrittsverhandlungen statt. Reformbedarf sieht der Länderbericht weiterhin bei rechtsstaatlichen Standards, der effektiven Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität. Auch enthält er Empfehlungen für ein größeres Engagement in den Bereichen Eigentumsrechte, Minderheitenfragen und Recht auf freie Meinungsäußerung.
  • Bosnien und Herzegowina:
    Im Juni 2022 hatte der Europäische Rat seine Bereitschaft erklärt, Bosnien und Herzegowina als Beitrittskandidaten anzuerkennen, und die Europäische Kommission ersucht, über die Umsetzung der 14 Prioritäten Bericht zu erstatten. Dabei sollte besonderes Augenmerk auf diejenigen Prioritäten gelegt werden, die substanzielle Reformen erfordern. Die Vorsitzenden der in der Parlamentarischen Versammlung von Bosnien und Herzegowina vertretenen politischen Parteien verpflichteten sich im Juni 2022 zu Grundsätzen, mit denen ein funktionsfähiges Bosnien und Herzegowina gewährleistet wird, das auf dem europäischen Weg voranschreitet. Wenn die 14 Schlüsselprioritäten aus der Stellungnahme der Kommission zum Beitrittsantrag des Landes erfüllt seien, könne auch die Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen empfohlen werden, so der Länderbericht.
  • Kosovo:
    Kosovo müsse seine Anstrengungen zur Stärkung der Demokratie, der öffentlichen Verwaltung, der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung intensivieren, hält der entsprechende Bericht fest. Die Europäische Kommission hält an ihrer Bewertung vom Juli 2018 fest, nach welcher Kosovo alle Benchmarks für die Visaliberalisierung erfüllt habe. Was die Normalisierung ihrer Beziehungen betrifft, so hätten Serbien und Kosovo den Dialog weitergeführt. Die EU erwarte aber, dass sich beide Seiten noch konstruktiver an den Verhandlungen über das rechtsverbindliche Normalisierungsabkommen beteiligen und flexibel zeigen, um rasch konkrete Fortschritte zu erzielen.
  • Türkei:
    Im Bereich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte müsse die Türkei der Umkehr der negativen Trends Priorität einräumen und gegen die Schwächung wirksamer Kontrollen und Gegenkontrollen im politischen System vorgehen. Der Dialog über Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte sei nach wie vor integraler Bestandteil der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. An den Fakten, die der Bewertung zugrunde liegen, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zum Stillstand gekommen sind, habe sich nichts geändert, so die Europäische Kommission in ihrem Bericht. Dass sich die Türkei den restriktiven Maßnahmen der EU gegen Russland nicht anschließe, sei besorgniserregend, da sich der freie Warenverkehr innerhalb der Zollunion EU-Türkei auch auf Güter mit doppeltem Verwendungszweck erstrecken. Die Türkei muss auch entschlossene Schritte unternehmen, um die Angleichung an die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, einschließlich ihrer restriktiven Maßnahmen, zu verbessern und Maßnahmen zu vermeiden, die seinem erklärten Ziel des EU-Beitritts zuwiderlaufen. Bei der Einigung über die Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine habe die Türkei eine vermittelnde Schlüsselrolle gespielt, hält der Bericht fest. Die Türkei sei nach wie vor ein wichtiger Partner der Europäischen Union in wesentlichen Bereichen von gemeinsamem Interesse – darunter Migration, Terrorismusbekämpfung, Wirtschaft, Handel, Energie, Ernährungssicherheit und Verkehr.

Die nächsten Schritte: Rat der EU ist am Zug

Es ist Sache des Rates, die am 12. Oktober 2022 vorgelegten Empfehlungen der Europäischen Kommission zu prüfen und Entscheidungen über die weiteren Schritte zu treffen.

Hintergrund: Erweiterung der EU – aktueller Stand

Aktuell sind 7 Staaten EU-Beitrittskandidatenländer: Dies sind Montenegro, Nordmazedonien, Albanien, Serbien, die Türkei sowie die Ukraine und die Republik Moldau. "Potenzielle Beitrittskandidaten" sind Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Georgien.

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