EU-Kommission legt Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung des jüdischen Lebens vor

Angesichts der besorgniserregenden Häufung antisemitischer Vorfälle in und außerhalb Europas sieht die neue EU-Strategie die Eindämmung von Antisemitismus vor, den Schutz jüdischen Lebens und eine Auseinandersetzung mit der Zeit des Holocaust

Stop Antisemitism

Am 5. Oktober 2021 hat die Europäische Kommission erstmals eine Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens vorgestellt. Die in der Strategie enthaltenen Maßnahmen der EU-Kommission umfassen Schwerpunkte im Bereich Verhütung aller Formen von Antisemitismus, Schutz und Förderung des jüdischen Lebens sowie Förderung von Forschung, Aufklärung und Gedenken an den Holocaust. Außerdem soll die Zusammenarbeit mit Online-Unternehmen intensiviert werden, um Antisemitismus im Internet einzudämmen. Weiters will man den öffentlichen Raum und Gebetsstätten besser schützen, ein europäisches Forschungszentrum für Antisemitismus in der Jetzt-Zeit einrichten und ein Netz von ehemaligen Holocaust-Orten aufbauen. Mit all diesen Schritten ist die EU bestrebt, auch auf internationaler Ebene eine Führungsrolle im Kampf gegen Antisemitismus einzunehmen.

"Wollen blühendes jüdisches Leben im Herzen unserer Gemeinschaften"
Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission

"Heute verpflichten wir uns, jüdisches Leben in Europa in all seiner Vielfalt zu fördern. Wir wollen, dass im Herzen unserer Gemeinschaften wieder jüdisches Leben blüht. So sollte das auch sein. Die Strategie, die wir heute vorlegen, stellt einen grundlegenden Wandel in der Art und Weise dar, wie wir auf Antisemitismus reagieren. Europa kann nur florieren, wenn seine jüdischen Gemeinschaften sich sicher fühlen und florieren“, erklärte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.

"Antisemitismus ist mit den Werten der EU unvereinbar"
Margaritis Schinas, Vizepräsident der EU-Kommission

"Antisemitismus ist mit den Werten der EU und mit unserer europäischen Lebensweise unvereinbar. Mit dieser Strategie – der ersten ihrer Art – verpflichten wir uns, ihn in all seinen Formen zu bekämpfen und eine Zukunft für jüdisches Leben in Europa und darüber hinaus zu gewährleisten. Wir sind es denen schuldig, die im Holocaust ums Leben gekommen sind, wir sind es den Überlebenden schuldig, und wir sind es künftigen Generationen schuldig", ergänzte Margaritis Schinas, der für die Förderung der europäischen Lebensweise zuständige Vizepräsident der Europäischen Kommission.

Europaministerin Edtstadler: "Im Kampf gegen Antisemitismus ist die gesamte Gesellschaft gefragt"

Laut Europaministerin Karoline Edtstadler wurden zahlreiche Vorschläge Österreichs in die EU-Strategie gegen Antisemitismus übernommen, vor allem betreffend den Online-Bereich: "Insbesondere im Internet gibt es ein großes Problem mit dem illegalen Verkauf und der Zurschaustellung von nazibezogenen Symbolen oder Relikten. Auf Forderung Österreichs wird die Kommission künftig mit Industrie- und IT-Unternehmen zusammenarbeiten, um diese Aktivitäten effektiver zu bekämpfen." Auch im Bereich Bildung und Forschung seien Vorschläge Österreichs von der EU-Kommission aufgegriffen worden, betonte Edtstadler, wie etwa die Einrichtung eines europäischen Forschungszentrums für zeitgenössischen Antisemitismus sowie die Finanzierung einer EU-weiten Erhebung über antisemitische Vorurteile in der Bevölkerung. Europaministerin Edtstadler begrüßte insbesondere die verstärkte Einbeziehung der Zivilgesellschaft durch ein jährliches Forum zur Bekämpfung von Antisemitismus, denn im Kampf gegen Antisemitismus sei die gesamte Gesellschaft gefragt.

Die österreichische Bundesregierung hat bereits zu Jahresbeginn 2021 Österreichs Nationale Strategie gegen Antisemitismus vorgelegt. Europaministerin Edtstadler: "Der Umfang und die Initiativen der EU-Strategie gegen Antisemitismus sind sehr begrüßenswert. Der europaweite Kampf gegen Antisemitismus darf aber kein Lippenbekenntnis bleiben. Jetzt geht es darum, rasch in die Umsetzung der Maßnahmen zu kommen und von 'Best Practice'-Beispielen zu lernen. Österreich ist in der Umsetzung der nationalen Strategie schon einen Schritt weiter als andere EU-Staaten und wir stehen gerne bereit, unsere Erfahrungen zu teilen."

Dokument

Antisemitismus-Strategie der EU baut auf 3 Säulen auf

Konkret setzt die Europäische Kommission mit ihrer Strategie auf die 3 Säulen Prävention und Bekämpfung von Antisemitismus, Schutz und Förderung jüdischen Lebens in der EU sowie Holocaust-Gedenken und Bildungsmaßnahmen.

  • Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus
    9 von 10 Juden und Jüdinnen sind laut EU-Kommission der Auffassung, dass Antisemitismus in ihrem Land gestiegen ist. Für 85 Prozent stellt dieser ein ernstes Problem dar. Die Kommission plant daher die Bereitstellung von EU-Mitteln beziehungsweise die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Gestaltung und Umsetzung ihrer nationalen Strategien. Ein neu aufgebautes europaweites Netz vertrauenswürdiger Hinweisgeber und jüdischer Organisationen soll dazu beitragen, illegale "Hass im Netz"-Aktivitäten zu entfernen. Zudem soll an der Entwicklung von Narrativen gearbeitet werden, um antisemitischen Online-Inhalten entgegenzuwirken. Durch die verstärkte Kooperation mit IT-Unternehmen und der Industrie sollen illegale Darstellung und illegaler Verkauf von Nazi-Symbolen oder -Literatur im Internet verhindert werden. 
  • Schutz und Förderung jüdischen Lebens in der EU
    38 Prozent der Jüdinnen und Juden haben bereits eine Auswanderung in Erwägung gezogen, da sie sich in der EU nicht sicher fühlen, so die Kommission. Sie möchte daher EU-Mittel verstärkt in den Schutz des öffentlichen Raums und von Gebetsstätten investieren. Zur nächsten Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen, die 2022 veröffentlicht werden soll, werden 24 Millionen Euro bereitgestellt. Die EU-Kommission wird Maßnahmen treffen, um das Bewusstsein für jüdisches Leben, jüdische Kultur und jüdische Traditionen zu schärfen. Zudem ruft die Kommission die Mitgliedstaaten dazu auf, zur Bekämpfung von Terrorismus – online und offline – die Unterstützung der Polizeibehörde Europol in Anspruch zu nehmen.
  • Aufklärung, Forschung und Gedenken an den Holocaust
    Laut Europäischer Kommission hat eine oder einer von 20 Bürgerinnen und Bürgern in der EU noch nie vom Holocaust gehört. Um die Erinnerungsarbeit lebendig zu gestalten, unterstützt die Kommission den Aufbau eines Netzes von Gedenkorten, die über keine große Bekanntheit verfügen (etwa Verstecke oder Erschießungsstätten). Zudem soll ein neues "Netz Junger Europa-Botschafterinnen und Botschafter" das Gedenken an den Holocaust wachhalten. Ein europäisches Forschungszentrum für Antisemitismus und jüdisches Leben in der heutigen Zeit soll mit EU-Mitteln errichtet werden. Zudem werden Städte, die sich um den Titel "Kulturhauptstadt Europas" bewerben, künftig aufgefordert, sich mit der Geschichte ihrer Minderheiten zu befassen – einschließlich der Geschichte der jüdischen Gemeinschaft.

Nächste Schritte: Umsetzung der EU-Antisemitismus-Strategie im Zeitraum 2021 bis 2030

Die Umsetzung der EU-Strategie soll sich über den Zeitraum von 2021 bis 2030 erstrecken. Die Kommission fordert Rat und Europäisches Parlament zur Unterstützung auf und wird 2024 beziehungsweise 2029 entsprechende Umsetzungsberichte veröffentlichen. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich durch neue nationale Strategien und Aktionspläne zur Verhütung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Radikalisierung und gewaltbereitem Extremismus verpflichtet, um alle Formen von Antisemitismus zu verhüten und zu bekämpfen. Die nationalen Strategien sollten bis Ende 2022 festgelegt sein und werden von der Kommission bis Ende 2023 bewertet.

Hintergrund: Bekämpfung von Antisemitismus auf EU-Ebene

Die EU setzt sich unmissverständlich gegen alle Formen von Hass und Diskriminierung aus Gründen der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, des Geschlechts, der sexuellen Ausrichtung, des Alters oder einer Behinderung ein. Die EU-Strategie ist daher Ausdruck des politischen Engagements der Kommission für eine Europäische Union ohne Antisemitismus und jede Form von Diskriminierung, für eine offene, inklusive und gleichberechtigte Gesellschaft in der EU. Im Oktober 2015 hatte das erste jährliche Kolloquium über Grundrechte in der EU mit dem Schwerpunkt "Toleranz und Respekt: Prävention und Bekämpfung von antisemitischem und antimuslimischem Hass in Europa" stattgefunden. Im dessen Rahmen war die erste Koordinatorin für die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung des jüdischen Lebens auf EU-Ebene ernannt worden.

Im Juni 2017 hat das Europäische Parlament eine Entschließung zur Bekämpfung von Antisemitismus verabschiedet, an die sich eine Erklärung zur Bekämpfung von Antisemitismus anschloss, die der Rat im Dezember 2018 angenommen hat. Im Dezember 2020 folgte die Annahme einer weiteren Erklärung zur Bekämpfung von Antisemitismus in allen Politikbereichen durch den Rat.

Die Aufgabe des Zurückdrängens von Antisemitismus fällt primär in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die EU spielt jedoch eine wesentliche unterstützende Rolle und fördert etwa den Austausch von "Best Practice"-Beispielen zwischen den Mitgliedstaaten oder die Unterstützung der Bekämpfung von Antisemitismus durch EU-Mittel. Zudem soll eine bestehende Ad-hoc-Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Antisemitismus künftig zu einem ständigen Gremium werden, in dem die Mitgliedstaaten und jüdische Gemeinschaften zusammenkommen.