Kommission und EU-Außenbeauftragter präsentieren europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit

Im Fokus: Bewertung von Risiken für die wirtschaftliche Sicherheit in 4 Bereichen sowie Möglichkeiten zur Risikominimierung – Kommissionspräsidentin von der Leyen: "Strategie wird die Souveränität, die Sicherheit und den Wohlstand Europas in den kommenden Jahren gewährleisten"

V.l.n.r.: Josep Borrell Fontelles, Margrethe Vestager, Valdis Dombrovskis und Dana Spinant

Die Europäische Kommission und der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, haben am 20. Juni 2023 eine Gemeinsame Mitteilung über eine europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit vorgelegt. Im Fokus der Gemeinsamen Mitteilung steht eine Minimierung von Risiken, die sich aus bestimmten Wirtschaftsströmen im Zusammenhang zunehmender geopolitischer Spannungen und des technologischen Wandels ergeben. Die Strategie soll unter anderem einen gemeinsamen Rahmen festlegen, in dem die wirtschaftliche Sicherheit der EU durch die Förderung der wirtschaftlichen Basis und der Wettbewerbsfähigkeit der EU, den Schutz vor Risiken sowie der Schließung von Partnerschaften erreicht werden soll. Nach Angaben der Kommission soll gleichzeitig ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Offenheit und Dynamik gewahrt bleiben.

Kommissionspräsidentin von der Leyen: "Europa ist die erste große Volkswirtschaft, die eine Strategie für wirtschaftliche Sicherheit vorlegt"

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte dazu: "Globale Integration und offene Volkswirtschaften haben sich positiv auf unsere Unternehmen, unsere Wettbewerbsfähigkeit und unsere europäische Wirtschaft ausgewirkt. Und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass die Welt konfliktreicher und geopolitischer geworden ist." Aus diesem Grund sei das Thema wirtschaftliche Sicherheit für viele Partnerinnen und Partner zu einer Priorität geworden, so von der Leyen, die in diesem Zusammenhang die Vorteile der neuen Strategie hervorhob: "Europa ist die erste große Volkswirtschaft, die eine Strategie für wirtschaftliche Sicherheit vorlegt. Sie wird die Souveränität, die Sicherheit und den Wohlstand Europas in den kommenden Jahren gewährleisten."

Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, ergänzte: "Sicherheit ist ein Konzept mit neuen und vielfältigen Dimensionen. Eine davon ist die wirtschaftliche Sicherheit. Wir haben erlebt, wie Abhängigkeiten instrumentalisiert werden können. In dieser Strategie bringen wir wirtschafts- und sicherheitspolitische Maßnahmen zusammen, um unsere übermäßigen Abhängigkeiten zu verringern und gleichzeitig ein globales, offenes und regelbasiertes Handelssystem zu erhalten. Dazu müssen wir ein möglichst breites Spektrum von Partnerinnen und Partnern einbeziehen. Als Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik werde ich dafür sorgen, dass unsere Bemühungen um die Förderung der wirtschaftlichen Sicherheit zu einem festen Bestandteil des außenpolitischen Handelns der EU werden und mit unserer allgemeinen Außenpolitik in Einklang stehen."

Bewertung der Risiken für die wirtschaftliche Sicherheit der EU

Nach Angaben der Kommission entwickeln sich Risiken, die bestimmte wirtschaftliche Verflechtungen mit sich bringen, im gegenwärtigen geopolitischen und technologischen Umfeld rasch weiter und verschmelzen zunehmend mit Sicherheitsbelangen. Vor diesem Hintergrund ist die EU aufgerufen, ein umfassendes Konzept zur gemeinsamen Identifikation, Bewertung und Bewältigung von Risiken für ihre wirtschaftliche Sicherheit zu entwickeln.

Die vorgelegte europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit beinhaltet einen Vorschlag zur Bewertung der Risiken für die wirtschaftliche Sicherheit in 4 Bereichen:

  1. Risiken für die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten, einschließlich der Energiesicherheit;
  2. Risiken für die physische Sicherheit und die Cybersicherheit kritischer Infrastrukturen;
  3. Risiken im Zusammenhang mit der Sicherheit von Technologien und dem Durchsickern von Technologien;
  4. Risiken im Zusammenhang mit der Instrumentalisierung von wirtschaftlichen Abhängigkeiten oder mit wirtschaftlichem Zwang.

In der Strategie wird eine Methodik für die Risikobewertung vorgeschlagen, die von der Kommission und den EU-Mitgliedstaaten (gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und unter Einbeziehung des Privatsektors) durchgeführt werden soll.

Des Weiteren wird in der Strategie dargelegt, wie die identifizierten Risiken durch einen dreigleisigen Ansatz gemindert werden können, welcher aus den folgenden Elementen besteht:

  • Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der EU durch die Stärkung des Binnenmarktes, Unterstützung einer starken und widerstandsfähigen Wirtschaft, Investitionen in Qualifikationen und Förderung der Forschungs-, Technologie- und Industriebasis in der EU;
  • Schutz der wirtschaftlichen Sicherheit der EU durch eine Reihe von bestehenden Maßnahmen und Instrumenten sowie durch die Erwägung des Einsatzes neuer Maßnahmen, um mögliche Lücken zu schließen. Dies soll in einer verhältnismäßigen und präzisen Weise geschehen, um eventuell negative, unbeabsichtigte "Spillover"-Effekte auf die europäische sowie die globale Wirtschaft zu begrenzen;
  • Zusammenarbeit mit einem möglichst breiten Spektrum von Partnerinnen und Partnern zur Stärkung der wirtschaftlichen Sicherheit, auch durch das Voranbringen und den Abschluss von Handelsabkommen, die Absicherung anderer Partnerschaften und die Stärkung der regelbasierten internationalen Wirtschaftsordnung sowie multilateraler Institutionen wie der Welthandelsorganisation (WHO) und durch Investitionen in die nachhaltige Entwicklung mittels "Global Gateway".

Gezielte Maßnahmen: Fördern, schützen, Partnerschaften eingehen

In der Gemeinsamen Mitteilung über eine europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit werden die folgenden neuen Maßnahmen festgehalten:

  • Entwicklung – gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten – eines Rahmens für die Bewertung von Risiken, welche die wirtschaftliche Sicherheit der EU beeinträchtigen; dazu gehören die Erstellung einer Liste von Technologien, die für die wirtschaftliche Sicherheit von entscheidender Bedeutung sind, und die Bewertung ihrer Risiken im Hinblick auf die Schaffung geeigneter Abhilfemaßnahmen;
  • Aufnahme eines strukturierten Dialogs mit dem Privatsektor, um ein gemeinsames Verständnis von wirtschaftlicher Sicherheit zu entwickeln und diesen zu ermutigen, Sorgfaltspflichten und Risikomanagement im Hinblick auf Bedenken im Bereich der wirtschaftlichen Sicherheit zu verbessern;
  • Weitere Unterstützung der technologischen Souveränität der EU und der Widerstandsfähigkeit der EU-Wertschöpfungsketten, auch durch die Entwicklung kritischer Technologien im Rahmen der Plattform für strategische Technologien für Europa (auf Englisch: "Strategic Technologies for Europe Platform", kurz: STEP);
  • Überprüfung der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen;
  • Prüfung von Optionen zur Gewährleistung einer angemessenen und gezielten Unterstützung der Forschung und Entwicklung von Technologien mit doppeltem Verwendungszweck;
  • Vollständige Umsetzung der Verordnung über die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck und Vorlage eines Vorschlags zur Gewährleistung ihrer Wirksamkeit und Effizienz;
  • Vornahme einer Prüfung – gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten – der potenziell auftretenden Sicherheitsrisiken aufgrund von Auslandsinvestitionen, und darauf aufbauend Vorlage einer Initiative bis Ende 2023;
  • Empfehlung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit der Forschung, die eine systematische und rigorose Durchsetzung der bestehenden Instrumente gewährleisten und noch bestehende Lücken ermitteln und beseitigen;
  • Prüfung des gezielten Einsatzes der Instrumente der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherheit der EU, einschließlich des Instrumentariums zur Abwehr hybrider Bedrohungen, des Instrumentariums für die Cyberdiplomatie sowie des Instrumentariums gegen Manipulation von Informationen und Einmischung aus dem Ausland (auf Englisch: "Foreign Information Manipulation and Interference", kurz: FIMI);
  • Beauftragung des Einheitlichen Analyseverfahrens (auf Englisch: "Single Intelligence Analysis Capacity", kurz: SIAC), spezifisch an der Aufdeckung möglicher Bedrohungen der wirtschaftlichen Sicherheit der EU zu arbeiten;
  • Gewährleistung der vollständigen Integration des Schutzes und der Förderung der wirtschaftlichen Sicherheit der EU in das außenpolitische Handeln der Union und Intensivierung der Zusammenarbeit mit Drittländern in Fragen der wirtschaftlichen Sicherheit.

Die nächsten Schritte

Die Mitteilung über eine europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit soll die Grundlage für eine strategische Diskussion mit den EU-Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament darstellen, um einen umfassenden Ansatz zum Schutz der wirtschaftlichen Sicherheit der EU zu entwickeln. Der Europäische Rat wird die Strategie auf seiner Tagung vom 29. bis 30. Juni 2023 erörtern.

Hintergrund: Europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit

Nach Angaben der Kommission haben wachsende geopolitische Spannungen, ein verschärfter geopolitischer und geoökonomischer Wettbewerb sowie die Covid-19-Pandemie und der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine die Risiken offengelegt, welche bestimmte wirtschaftliche Abhängigkeiten mit sich bringen. Eine umfassende Strategie für die wirtschaftliche Sicherheit, einschließlich eines interne und externe Politikbereiche umfassenden gemeinsamen Vorgehens sowie eines kohärenten Maßnahmenpakets auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten, ist für die EU von wesentlicher Bedeutung, um Risiken zu bewerten und zu bewältigen sowie gleichzeitig die Offenheit und das internationale Engagement der EU zu bewahren.

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