Vorläufige politische Einigung über Europäisches Chip-Gesetz: Weniger Abhängigkeit und Anfälligkeit – mehr Investition und Innovation

Ziele des Europäischen Chip-Gesetzes: Abhängigkeiten von Halbleiter-Lieferanten aus anderen Staaten reduzieren sowie eigene Infrastruktur, technologische Souveränität und Versorgungssicherheit stärken – Bis 2030 Verdoppelung des Halbleiter-Weltmarktanteils der EU auf 20 Prozent angestrebt – 43 Milliarden Euro sollen für den Ausbau mobilisiert werden

Ein Microchip vor der Flagge der Europäischen Union

Der Rat der EU und das Europäische Parlament haben am 18. April 2023 eine vorläufige politische Einigung über die Verordnung zur Stärkung des europäischen Halbleiter-Ökosystems – das sogenannte Europäische Chip-Gesetz ("European Chips Act") – erzielt. Das Gesetz war von der Kommission am 8. Februar 2022 vorgeschlagen worden, um der Halbleiter-Chip-Knappheit, unter anderem infolge der Covid-19-Pandemie, entgegenzuwirken.

Chips sind klein, aber unverzichtbar – auch für Produkte des Alltags: So enthält ein Smartphone beispielsweise 160 Chips, ein Hybridelektrofahrzeug bis zu 3.500 Chips. Halbleiter sind wesentliche Bausteine digitaler und digitalisierter Produkte sowie kritischer Anwendungen im Gesundheits-, Energie- und Verteidigungssektor und stehen zudem im Zentrum geostrategischer Interessen. Um die Anfälligkeiten und Abhängigkeiten der EU von Halbleiter-Lieferanten außerhalb Europas zu begrenzen, soll das Europäische Chip-Gesetz die Fertigungstätigkeiten in der Union stärken, das europäische Design-Ökosystem stimulieren und den Ausbau und die Innovation in der gesamten Wertschöpfungskette unterstützen. Auf diesem Weg soll der derzeitige Halbleiter-Weltmarktanteil der EU bis 2030 von aktuell 10 Prozent auf mindestens 20 Prozent verdoppelt werden.

Kommissions-Vizepräsidentin Vestager: "Die Vereinbarung wird dazu beitragen, die Versorgung mit innovativen Halbleitern in Europa zu sichern"

Ebba Busch, schwedische Ministerin für Energie, Unternehmen und Industrie und stellvertretende Ministerpräsidentin, betonte für den aktuellen schwedischen EU-Ratsvorsitz: "Diese Einigung ist für den ökologischen und den digitalen Wandel von größter Bedeutung und gewährleistet gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit der EU in turbulenten Zeiten. Die neuen Vorschriften stellen für Europa eine echte Revolution im Schlüsselsektor Halbleiter dar. Das Chip-Gesetz sichert Europa eine Spitzenposition im Bereich hochmoderner Technologien."

Die für das Ressort "Ein Europa für das digitale Zeitalter" zuständige Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Margrethe Vestager, erklärte: "Die Vereinbarung wird dazu beitragen, die Versorgung mit innovativen Halbleitern in Europa zu sichern. Es wird die Einführung innovativer Chips durch europäische Unternehmen beschleunigen und sie wettbewerbsfähiger machen. Daher begrüßen wir, dass die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament diese Einigung in sehr kurzer Zeit erzielt haben." Der Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton, ergänzte: "In einem geopolitischen Kontext der Risikominderung nimmt Europa sein Schicksal selbst in die Hand. Die europäische Vision, unseren Weltmarktanteil bis 2030 auf 20 Prozent zu verdoppeln und die anspruchsvollsten und energieeffizientesten Halbleiter in Europa zu produzieren, zieht bereits erhebliche private Investitionen an. Jetzt mobilisieren wir beträchtliche öffentliche Mittel und den Rechtsrahmen, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen."

Die 3 Säulen des Europäischen Chip-Gesetzes

Die Kommission hat mit Blick auf die Verwirklichung der Ziele des Chip-Gesetzes 3 Hauptaktionsbereiche beziehungsweise Säulen vorgeschlagen:

  1. Initiative "Chips für Europa" zur Unterstützung eines groß angelegten technologischen Kapazitätsaufbaus: Im Rahmen der Initiative "Chips für Europa" sollen öffentliche und private Investitionen in Höhe von 43 Milliarden Euro für den Ausbau der Mikrochip-Industrie mobilisiert werden, davon 3,3 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt für den Zeitraum bis 2027. Diese Maßnahmen sollen über ein "Gemeinsames Unternehmen für Chips" – eine öffentlich-private Partnerschaft unter Beteiligung der Union, der EU-Mitgliedstaaten und des Privatsektors – durchgeführt werden.
  2. Rahmen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit und Resilienz durch Anreize für Investitionen: Die zweite Säule des Europäischen Chip-Gesetztes soll für Investitionen und den Ausbau von Produktionskapazitäten in der Halbleiterfertigung sorgen. Vor diesem Hintergrund soll ein Rahmen für integrierte Produktionsanlagen und offene EU-Gießereien geschaffen werden, die zur Versorgungssicherheit und zu einem widerstandsfähigen Ökosystem im Interesse der EU beitragen. "Neuartige" Produktionsanlagen sollen von beschleunigten Genehmigungsverfahren profitieren. Zudem sollen Entwicklungszentren, welche die Fähigkeiten der EU im Bereich der innovativen Chipentwicklung erheblich stärken, ein europäisches Gütesiegel als Exzellenzzentrum für Chipdesign erhalten, das von der Kommission vergeben wird.
  3. Mechanismus für die Überwachung und Krisenreaktion zur Antizipierung von Versorgungsengpässen und als Reaktion im Krisenfall: In der dritten Säule soll ein Koordinierungsmechanismus zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Kommission eingerichtet werden, um die Zusammenarbeit mit und zwischen den Mitgliedstaaten zu stärken, das Angebot an Halbleitern zu überwachen, die Nachfrage zu schätzen, Engpässe zu antizipieren und erforderlichenfalls die Auslösung einer Krisenphase auszulösen.

Mit dem Kompromiss wird auch die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit und des Schutzes der Rechte des geistigen Eigentums als 2 Schlüsselelemente für die Schaffung eines Halbleiter-Ökosystems hervorgehoben.

Die nächsten Schritte

Die vom Europäischen Parlament und vom Rat erzielte vorläufige politische Einigung muss nun von den beiden Organen abschließend überarbeitet, gebilligt und förmlich angenommen werden.

Hintergrund: Chips "made in Europe"

Ein Mikrochip ist ein kleines Bauteil, das aus Halbleitern besteht (Materialien, die den Elektrizitätsfluss ermöglichen oder unterbrechen können), das große Informationsmengen speichern oder mathematische und logische Operationen durchführen kann. Chip sind von hoher strategischer Bedeutung für mehrere Industriesektoren – etwa Gesundheit, Verteidigung oder Energie – und ihre Wertschöpfungsketten. Die weltweite Produktion von Mikrochips betrug im Jahr 2021 nach Angaben der Kommission 1,1 Billionen; dies sind rund 140 Chips pro Person weltweit. Vor dem Hintergrund des digitalen Wandels entstehen neue Märkte für die Chip-Industrie: Dazu zählen beispielsweise hochautomatisierte Fahrzeuge, Cloud- und Internet-Technologien, 5G- und 6G-Konnektivität, Raumfahrt/Verteidigung sowie Rechenkapazitäten und Supercomputer. Halbleiter stehen zudem im Mittelpunkt von geopolitischen Interessen in Bezug auf militärische, wirtschaftliche und industrielle Handlungsfähigkeiten von Staaten und treiben den digitalen Wandel voran. Zwischen 2022 und 2030 dürfte sich die Nachfrage nach Chips verdoppeln.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits in ihrer "Rede zur Lage der Union" 2021 die Schaffung eines gemeinsamen hochmodernen europäischen Chip-Ökosystems skizziert, welches neben der Produktion auch Forschungs-, Entwurfs- und Prüfkapazitäten der EU umfassen sollte. Denn aktuell ist Europa stark von im Ausland hergestellten Chips abhängig, was sich besonders während der Covid-19-Pandemie gezeigt hat. Zudem ist die Chip-Herstellung komplex, erfordert über 1.000 Schritte (vom Arbeitsmaterial über den Entwurf und die Bereitstellung von Geräten bis hin zur Fertigung und Vermarktung), die von unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren auf der ganzen Welt ausgeführt werden. Diese komplexen Lieferketten und Abhängigkeiten erhöhen das Risiko von Versorgungsunterbrechungen und -engpässen.

Um Lücken in der Chip-Produktion zu ermitteln und festzustellen, welche technologischen Entwicklungen für Unternehmen und Organisationen künftig notwendig sein würden, hat die Europäische Kommission im Juli 2021 eine Industrieallianz für Prozessoren und Halbleiter-Technik gestartet. Die Allianz soll dazu beitragen, die Zusammenarbeit bestehender und künftiger EU-Initiativen zu fördern, eine beratende Rolle spielen und in Kooperation mit anderen Interessenträgerinnen und -trägern einen strategischen Fahrplan für die Initiative "Chips für Europa" entwickeln.

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