Schallenberg: Historische Verantwortung bedeutet aktives Handeln im Jetzt und in der Zukunft

Gedenkmatinee im Jüdischen Museum anlässlich der Novemberpogrome

"Österreich hat sich zu lange selbst ausschließlich als Opfer des Nationalsozialismus betrachtet. Zu viele standen aber im März 1938 am Heldenplatz und haben mitgejubelt. Zu viele haben zugeschaut und mitgemacht, als ihre Mitmenschen beraubt, vertrieben und ermordet wurden", sagte Bundesminister Alexander Schallenberg im Rahmen der Gedenkmatinee im Jüdischen Museum anlässlich der Novemberpogrome, die sich in der Nacht von 9. auf den 10. November 2019 zum 81. Mal jähren. Schallenberg erinnerte an die abscheulichen Gräueltaten und Verbrechen, die in Deutschland und Österreich begangen wurden und die "uns bis heute zu recht beschämt und betroffen" machen: "Wir haben zu lange weggesehen, bis wir uns der Täterrolle und unserer daraus wachsenden historischen Verantwortung bewusst geworden sind."

Erstmals habe sich Altkanzler Franz Vranitzky 1991 bei seiner Rede an der Hebräischen Universität Jerusalem zur historischen Verantwortung Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus bekannt. Es reiche jedoch nicht, sich der Verantwortung für Taten bewusst zu sein, sondern man müsse sich auch der Unterlassungen bewusst werden: "Wir dürfen nicht schweigen, wenn antisemitisch motivierte Gewalttaten auf europäischem Boden begangen werden. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn sich mehr und mehr Jüdinnen und Juden in Europa unsicher fühlen", betonte Schallenberg und rief den kürzlich erfolgten Anschlag in Halle am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ins Gedächtnis.

Aufgabe sei es daher umso mehr, jüdisches Leben in Österreich und Europa aktiv zu schützen sowie entschieden und ohne Wenn und Aber gegen jede Form von Antisemitismus aufzutreten. Dabei dürfe es keine falschen Kompromisse oder falsche Scheu geben, denn "nur wenn Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt in Sicherheit und Freiheit leben können, kann aus einem "Niemals vergessen" ein "Nie mehr wieder" werden", so Schallenberg.

Historische Verantwortung bedeute aber nicht nur ehrliches Gedenken an die Vergangenheit, sie bedeute auch aktives Handeln im Jetzt und in der Zukunft. Um das unfassbare Leid der Shoah in seiner Ungeheuerlichkeit und Bestialität ansatzweise begreiflich zu machen, brauche es Gespräche mit Überlebenden. "Leider müssen wir uns aber eingestehen, dass unsere Generation wohl eine der letzten sein wird, die solche Begegnungen mit Zeitzeugen noch erleben darf. Wir tragen somit eine besondere Verantwortung, die Erinnerungen aus erster Hand zu bewahren und an die nächsten Generationen, zum Beispiel in Form von Tondokumenten oder Filmen weiterzugeben", hielt der Bundesminister fest.

Erfreut zeigte sich Schallenberg über eine kürzlich im Nationalrat beschlossene Gesetzesnovelle, die es Nachkommen von österreichischen Opfern der Shoah ermöglicht, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen. "Ich hoffe, dass mit dieser Entscheidung und mit seiner lebendigen Gedenkkultur Österreich seiner historischen Verantwortung ein kleines Stück gerechter wird", so der Minister abschließend.

Bundesminister Alexander Schallenberg

Neben dem Bundesminister begrüßte Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde und die Direktorin des Jüdischen Museum Wien, Danielle Spera, die anwesenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie deren Angehörige. Anlässlich der Premiere des Dokumentarfilms "Auf Wiedersehen Mama, auf Wiedersehen Papa" erinnerten Hans Menasse, Dora Schimanko und Jenny Mitbreit in einer Diskussion an die Kindertransporte, welche tausenden jüdischen Kindern das Leben gerettet haben.

Bilder von dieser Veranstaltung sind über das Fotoservice des Bundeskanzleramtes kostenfrei abrufbar.