Bundeskanzler Kurz: "Unserer historischen Verantwortung gerecht werden"

Hochrangige Konferenz "Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus – Sicherung des jüdischen Lebens in Europa"

"Für mich ist es beinahe unvorstellbar, dass fast 100 Jahre nach der Shoah so etwas wie Antisemitismus überhaupt noch existiert und dass es in unserer Gesellschaft auch stetig neu importierten Antisemitismus gibt. Umso mehr ist es unerlässlich, das Geschehene nie zu vergessen und auch den nachfolgenden Generationen das Bewusstsein zu vermitteln, dass es in Österreich nicht nur Opfer, sondern auch viele Täter gegeben hat", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz auf der hochrangigen Konferenz "Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus – Sicherung des jüdischen Lebens in Europa" am 21. November in Wien.

Gespräche mit Zeitzeugen – Bewusstseinsbildung

Der Bundeskanzler hob in seiner Rede hervor, dass bei allen Initiativen gegen das Vergessen der Kontakt mit Zeitzeugen und die Gespräche mit Überlebenden, "auch wenn sie oft schmerzhaft sind", ein wesentliches Fundament für die Bewusstseinsbildung sei. Wichtig sei es heute aber auch, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie präsent Antisemitismus gegenwärtig ist und dass "Antisemitismus und Antizionismus zunehmend Hand in Hand gehen". Die Republik Österreich müsse die Verantwortung dafür übernehmen, den Blick nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch auf die Gegenwart und Zukunft zu richten. "Und wenn wir den Blick nach vorne richten, gibt es viele Möglichkeiten, um unserer historischen Verantwortung gerecht zu werden", so Sebastian Kurz. Es gehe dabei nicht nur um die Errichtung von Gedenkstätten wie den Namensmauern in Wien, sondern auch um Veranstaltungen wie die heutige, aus der weitere Schritte abgeleitet werden können.

Im Rahmen der Paneldiskussion verwies der Bundeskanzler auf mehrere Handlungsfelder in Österreich: "Aufgrund der eigenen Geschichte gibt es bei uns eine sehr strenge Gesetzeslage und hohe Sanktionen betreffend Antisemitismus". Die Sicherheit der jüdischen Gemeinde sei zudem ein wichtiges Anliegen, genauso wie die Bewusstseinsbildung und Auseinandersetzung mit Antisemitismus an Schulen. Der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, Mosche Kantor, dankte dem Bundeskanzler für seinen Einsatz gegen den Antisemitismus. Österreich sei während seines EU-Ratsvorsitzes sehr entscheidend gewesen, habe das Thema Antisemitismus zur Priorität gemacht und auf das höchste Diskussionsniveau gehoben. Der Kampf gegen den und die Beendigung des Antisemitismus seien jedoch nur möglich, wenn in allen Belangen eng zusammengearbeitet werde, so Mosche Kantor.

Sicherheit für Jüdinnen und Juden

Sebastian Kurz zeigte sich erfreut über die Videobotschaft des israelischen Ministerpräsidenten, der aufgrund der innenpolitischen Situation in Israel seine Konferenzteilnahme absagen musste. "In einem Telefonat hat Ministerpräsident Netanjahu mir gegenüber betont, wie wichtig es ihm ist, dass wir in Europa ein stärkeres Bewusstsein nicht nur im Kampf gegen Antisemitismus, sondern auch für das Sicherheitsbedürfnis Israels entwickeln. Ich denke, die heutige Konferenz unter dem österreichischen EU-Ratsvorsitz kann ein erster Schritt in diese Richtung sein", so der Bundeskanzler. Er wünsche sich, dass nun nachhaltige Schritte im Kampf gegen Antisemitismus und Antizionismus folgen, "damit Jüdinnen und Juden in Österreich, Europa und darüber hinaus in Sicherheit leben können."

Bundeskanzler Sebastian Kurz bei der Hochrangigen Konferenz © BKA/Andy Wenzel

Mit Mut gegen Antisemitismus in Europa

Die EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung, Vêra Jourová, betonte, dass sich die Europäische Union bewusst sei, dass der Antisemitismus ein ernstes Problem darstelle, das jedoch nur gemeinsam zu bekämpfen sei. Die Gesellschaften dürften nicht passiv dabei zusehen, wie der Antisemitismus wieder erstarke. "Ich habe nie gedacht, wie viel Mut es braucht, die eigene Stimme gegen den Antisemitismus zu erheben. Ich danke Ihnen, Herr Bundeskanzler, dass Sie diesen Mut haben", so Jourová.

Koalition der Willigen – Gesellschaft mobilisieren

Rabbi Arthur Schneier warnte in seinem Abschlussstatement davor, dass man wieder wachsam sein müsse, gegenüber einer "Epidemie", die wie ein Virus um sich greife. "Ich schlage vor, dass die EU eine Koalition der Willigen bildet – in der Geschäfts- und Finanzwelt, in den Bereichen Bildung und der Wissenschaft – um die Gesellschaft zu erreichen und zu mobilisieren." Er wünsche sich ein Treffen aller EU-Bildungsministerinnen und -minister: Dabei solle es als einzigen Tagesordnungspunkt die Bildungsmaßnahmen gegen Antisemitismus und Antizionismus geben, mit dem Ziel, demokratische Werte zu vermitteln. "Wir können eine Zukunft des Friedens, der Freiheit und der Demokratie für unsere Kinder und Enkelkinder erreichen", so Rabbi Schneier, der betonte: "Nie hätte ich gedacht, dass ich den Tag erleben würde, an dem ein Bundeskanzler an vorderster Stelle steht und uns alle – mit der Unterstützung des Europäischen Jüdischen Kongresses – einlädt." Bundeskanzler Sebastian Kurz bedankte sich abschließend bei allen Partnern, Unterstützern und Initiatoren, die diese Konferenz möglich gemacht haben.

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Rede von Bundeskanzler Sebastian Kurz (PDF, 36 KB) (PDF, 35 KB)

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