Neue EU-Rechtsvorschriften zur Prävention und Bekämpfung von Kindesmissbrauch

Die Rechte von Kindern sollen sowohl online als auch offline geachtet und geschützt werden – Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch als Priorität für die EU

Mutter mit ihrem Kind im Arm

Am 11. Mai 2022 hat die Europäische Kommission neue EU-Rechtsvorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet vorgeschlagen. Denn die Zahlen sind dramatisch: Allein im Jahr 2021 waren weltweit 85 Millionen Bilder und Videos mit Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch gemeldet worden, die Dunkelziffer ist hoch. Die Covid-19-Pandemie hat diese Problematik verschärft. Nach Angaben der "Internet Watch Foundation" (IWF) ist die Zahl der bestätigten Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch im Jahr 2021 gegenüber dem Jahr davor um 64 Prozent gestiegen. Die aktuellen Regelungen, die auf eine freiwillige Aufdeckung und Meldung durch die Unternehmen setzen, gewähren Kindern nicht ausreichend Schutz.

Ergänzend zum Vorschlag vom 11. Mai 2022 hat die Europäische Kommission in diesem Kontext auch eine Europäische Strategie für ein besseres Internet vorgelegt.

Klare Vorschriften und Schutzmechanismen geplant

Die vorgeschlagenen Regelungen sollen die Anbieter von Online-Diensten dazu verpflichten, Material über sexuellen Kindesmissbrauch in ihren Diensten aufzudecken, zu melden und zu entfernen. Darüber hinaus müssen Anbieter das Risiko einer missbräuchlichen Verwendung der Dienste bewerten und einen Beitrag zu dessen Minderung leisten.

Die vorgeschlagenen EU-Rechtsvorschriften beinhalten insbesondere die folgenden 7 Punkte:

  • Pflicht zur Bewertung und Minderung von Risiken: Anbieter von Hosting- oder Messenger-Diensten müssen eine Risikobewertung durchführen, inwieweit ihre Dienste für die Verbreitung von Material über sexuellen Kindesmissbrauch oder für die Kontaktanbahnung, das so genannte "Grooming", missbraucht werden könnten, sowie Maßnahmen zur Risikominderung vorsehen.
  • Gezielte Aufdeckungspflichten auf Basis von Anordnungen: Die Mitgliedstaaten sollen nationale Behörden benennen, die für die Überprüfung der Risikobewertung zuständig sind.
  • Starke Schutzmechanismen bei der Aufdeckung: Unternehmen, die eine Anordnung zur Aufdeckung von Inhalten erhalten haben, dürfen hierfür ausschließlich Indikatoren für sexuellen Kindesmissbrauch nutzen, die von einem neu zu schaffenden EU-Zentrum überprüft und bereitgestellt wurden. Die Erkennungstechnologien dürfen nur für die Aufdeckung von sexuellem Kindesmissbrauch eingesetzt werden.
  • Klare Meldepflichten: Anbieter, die Online-Inhalte mit sexuellem Kindesmissbrauch aufgespürt haben, müssen diese an das EU-Zentrum melden.
  • Wirksame Entfernung: Wird Material über sexuellen Kindesmissbrauch nicht umgehend entfernt, können die nationalen Behörden eine Entfernungsanordnung erlassen. Internetanbieter werden außerdem verpflichtet, den Zugang zu Bildern und Videos zu sperren, wenn diese nicht entfernt werden können, beispielsweise weil sie außerhalb der EU in "kooperationsunwilligen" Ländern gehostet werden.
  • Besserer Schutz vor "Grooming": Nach dem Vorschlag müssten App-Stores sicherstellen, dass Kinder keine Apps herunterladen können, die eine erhöhte Gefahr bergen, dass Täter so Kontakt zu den Kindern suchen.
  • Solide Kontrollmechanismen und Rechtsbehelfe: Anordnungen zur Aufdeckung von Inhalten werden von Gerichten oder unabhängigen nationalen Behörden erlassen, so der Vorschlag der Kommission. Um die Gefahr der Falscherkennung und Falschmeldung so gering wie möglich zu halten, würden Meldungen von mutmaßlichem sexuellem Kindesmissbrauch vom EU-Zentrum überprüft, bevor sie an die Strafverfolgungsbehörden und an Europol weitergeleitet werden. Sowohl Anbieter als auch Nutzerinnen und Nutzer haben das Recht, jede sie betreffende Maßnahme vor Gericht anzufechten.

EU-Zentrum für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs

Ein neues, unabhängiges EU-Zentrum für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs soll künftig als Wissenszentrum fungieren: Es soll verlässliche Informationen über ermitteltes Material bereitstellen, Meldungen entgegennehmen und rasch an die Strafverfolgungsbehörden weiterleiten. Ein weiteres Aufgabengebiet ist der Opferschutz.

Das neue EU-Zentrum soll insbesondere die folgenden Zielgruppen unterstützen:

  • die Anbieter von Online-Diensten insbesondere dabei, ihre neuen Verpflichtungen zur Durchführung von Risikobewertungen sowie zur Aufdeckung, Meldung, Entfernung und Sperrung von Kindesmissbrauchs-Inhalten zu erfüllen, indem es Indikatoren für die Aufdeckung von sexuellem Kindesmissbrauch bereitstellt und die Meldungen der Anbieter entgegennimmt;
  • die nationalen Strafverfolgungsbehörden und die Polizeibehörde der Europäischen Union (Europol), indem es die Meldungen der Anbieter überprüft, um sicherzustellen, dass es sich nicht um Falschmeldungen handelt, und indem es sie schnell an die Strafverfolgungsbehörden weiterleitet. Dies soll dazu beitragen, dass Kinder vor Missbrauchssituationen bewahrt und die Täter der Justiz zugeführt werden;
  • die EU-Mitgliedstaaten, indem es als Wissenszentrum für "Best Practices" im Bereich der Prävention und Opferhilfe dient und einen evidenzbasierten Ansatz fördert;
  • die Opfer, indem es ihnen dabei hilft, dass die betreffenden Missbrauchsdarstellungen entfernt werden.

Die nächsten Schritte

Im nächsten Schritt entscheiden das Europäische Parlament und der Rat über den Vorschlag. Nach Annahme der neuen Verordnung, wird diese die gegenwärtig geltende Übergangs-Verordnung ersetzen.

Hintergrund: Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch als Priorität für die EU

Für die EU ist der Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch bedeutsam, da Fotos und Videos im Internet massiv verbreitet werden: Im Jahr 2021 wurden beim US-amerikanischen "National Centre for Missing and Exploited Children" 29 Millionen Fälle gemeldet. Bisher fehlt es an harmonisierten EU-Vorschriften und Social-Media-Plattformen. Gaming-Dienste und Anbieter anderer Hosting- und Online-Dienste sehen sich unterschiedlichen Regelungen gegenüber. Manche Anbieter setzen auf freiwilliger Basis Technologien ein, um Material über sexuellen Kindesmissbrauch aufzudecken, zu melden und zu entfernen. Der von der Kommission vorgelegte Vorschlag baut auf dem Gesetz über digitale Dienste (DSA, kurz für "Digital Services Act") auf und ergänzt es durch Regelungen, die dem speziellen Problem von Kindesmissbrauch in der Online-Welt gerecht werden sollen. Er soll dazu beitragen, Kinder vor Missbrauch zu bewahren, das Wiederauftauchen von Material im Netz zu verhindern und, falls erforderlich, gerichtliche Schritte zu setzen.

Der Vorschlag der neuen EU-Rechtsvorschriften zu Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet basiert auf der EU-Strategie für eine wirksamere Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern vom Juli 2020, in der dargelegt worden ist, wie durch die Verbesserung von Vorkehrungen, Ermittlungen und Hilfe für Opfer offline und online umfassend auf die wachsende Bedrohung des sexuellen Missbrauchs von Kindern reagiert werden sollte. Auch die von der Europäischen Kommission vorgestellte EU-Kinderrechtsstrategie enthält konkrete Maßnahmen, wie Kinder besser gegen Formen von Gewalt, insbesondere auch gegen Missbrauch in der Online-Welt, geschützt werden können.

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