Förderung einer klimaneutralen Wirtschaft: EU-Kommission legt Pläne für das Energiesystem der Zukunft und sauberen Wasserstoff vor

Energy Overcoming Dependence

Klimaneutralität bis 2050: Um dieses Ziel zu erreichen, muss Europa sein Energiesystem umgestalten, auf das 75 Prozent der Treibhausgas-Emissionen der EU entfallen. Zu diesem Zweck hat die Europäische Kommission am 8. Juli 2020 2 Strategien präsentiert: Eine widmet sich dem Thema Wasserstoff, die andere enthält die Pläne der Kommission für eine Integration des Energiesystems. Die 2 Strategien sollen den Weg zu einem effizienteren und stärker vernetzten Energiesektor ebnen. Die geplanten Investitionen haben zudem das Potenzial, die wirtschaftliche Erholung von der Coronavirus-Krise anzukurbeln.

Europaministerin Karoline Edtstadler unterstützt den Vorschlag der Europäischen Kommission: "Um klimaneutral zu werden, braucht es ein gemeinsames Vorgehen auf EU-Ebene. Ich begrüße es daher, dass die EU-Kommission die EU zur Vorreiterin beim Einsatz von Wasserstoff machen will. Denn ein sauberer Planet und eine starke Wirtschaft müssen kein Widerspruch sein."

Strategie zur Integration des Energiesystems

Die EU-Strategie zur Integration des Energiesystems bildet nach den Vorstellungen der EU-Kommission den Rahmen für die Energiewende. Mit dem derzeitigen Modell, bei dem der Energieverbrauch im Verkehr, in der Industrie, im Gas- und im Gebäudesektor in "Silos" mit jeweils getrennten Wertschöpfungsketten, Vorschriften, Infrastruktur, Planung und Betrieb erfolgt, kann Klimaneutralität bis 2050 nicht auf kosteneffiziente Weise erreicht werden. Dieses Modell getrennter Silos ist für die Verwirklichung einer klimaneutralen Wirtschaft ungeeignet. Es ist technisch und wirtschaftlich ineffizient und führt zu erheblichen Verlusten in Form von Abwärme und niedriger Energieeffizienz. Die sich ändernden Kosten innovativer Lösungen müssen sich in der Art und Weise widerspiegeln, in welcher das Energiesystem betrieben wird. Zu diesem Zweck müssten neue Verbindungen zwischen den Sektoren geschaffen und der technologische Fortschritt genutzt werden, so die EU-Kommission.

Die für Energie zuständige Kommissarin Kadri Simson betonte: "Da 75 Prozent der Treibhausgasemissionen der EU auf Energie zurückgehen, brauchen wir einen Paradigmenwechsel, um unsere Ziele für 2030 und 2050 zu erreichen. Das Energiesystem der EU muss besser integriert und flexibler werden und in der Lage sein, die saubersten und kosteneffizientesten Lösungen zu nutzen. Wasserstoff wird dabei eine Schlüsselrolle spielen, da sinkende Preise für erneuerbare Energien und kontinuierliche Innovationen ihn zu einer tragfähigen Lösung für eine klimaneutrale Wirtschaft machen."

Energy Union

Integration des Energiesystems bedeutet daher, dass das System als ein Ganzes, unter Vernetzung verschiedener Energieträger, Infrastrukturen und Verbrauchssektoren, geplant und betrieben wird. Dieses vernetzte und flexible System sollte effizienter sein und die Kosten für die Gesellschaft senken. So könnte etwa der Strom, mit dem die Fahrzeuge in Europa angetrieben werden, aus den Solarpaneelen auf den Dächern von Gebäuden stammen, während die Gebäude mit Wärme aus einer nahegelegenen Fabrik geheizt werden.

Die Strategie der EU-Kommission ruht auf folgenden 3 Säulen:

  • Erstens einem stärker "kreislauforientierten" Energiesystem, dessen zentraler Bestandteil die Energieeffizienz ist. In der Strategie werden konkrete Maßnahmen zur praktischen Anwendung des Grundsatzes "Energieeffizienz an erster Stelle" und zur wirksameren Nutzung lokaler Energiequellen in unseren Gebäuden oder Gemeinschaften aufgezeigt. Erhebliches Potenzial bieten die Wiederverwendung von Abwärme aus Industrieanlagen, Rechenzentren oder anderen Quellen sowie die Energiegewinnung aus Bioabfall oder Kläranlagen. Die "Renovierungswelle" wäre ein wichtiger Bestandteil dieser Reformen.
  • Zweitens einer stärkeren direkten Elektrifizierung der Endverbrauchssektoren. Da der Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor am höchsten ist, sollten nach Möglichkeit zunehmend Strom genutzt werden, beispielsweise für Wärmepumpen in Gebäuden, Elektrofahrzeuge im Verkehr oder Elektroöfen in bestimmten Industriezweigen. Ein Netz von einer Million Ladestationen für Elektrofahrzeuge würde neben dem Ausbau der Solar- und Windkraft zu den sichtbaren Ergebnissen zählen.
  • Für die Sektoren, in denen eine Elektrifizierung schwierig ist, wird drittens in der Strategie die Nutzung saubererer Brennstoffe, etwa von erneuerbarem Wasserstoff, nachhaltigen Biokraftstoffen und Biogas, vorgeschlagen. Die Kommission wird ein neues Klassifizierungs- und Zertifizierungssystem für erneuerbare und CO2-arme Brennstoffe vorschlagen.

In der Strategie werden 38 Maßnahmen zur Schaffung eines stärker integrierten Energiesystems aufgeführt. Dazu gehören die Überarbeitung der bestehenden Rechtsvorschriften, finanzielle Unterstützung, Erforschung und Einsatz neuer Technologien und digitaler Tools, Leitlinien für die Mitgliedstaaten zu steuerlichen Maßnahmen und dem Auslaufen von Subventionen für fossile Brennstoffe, eine Reform der Marktsteuerung und Infrastrukturplanung sowie bessere Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Analyse der bestehenden Hindernisse in diesen Bereichen wird in konkrete Vorschläge einfließen (beispielweise in die Überarbeitung der Energieinfrastruktur [TEN-E] Verordnung bis Ende 2020 oder die Überarbeitung der Energiebesteuerungsrichtlinie und des Rechtsrahmens für den Gasmarkt im Jahr 2021).

Stufenplan für die Wasserstoff-Strategie

In einem integrierten Energiesystem kann Wasserstoff die Dekarbonisierung von Industrie, Verkehr, Stromerzeugung und Gebäuden in ganz Europa unterstützen. Die Wasserstoffstrategie der EU befasst sich damit, wie dieses Potenzial durch Investitionen, Regulierung, Schaffung von Märkten sowie Forschung und Innovation ausgeschöpft werden kann. Erneuerbarer Wasserstoff kann als Ausgangsstoff, Brennstoff oder Energieträger und -speicher mit zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten in der Industrie, im Verkehr, im Energie- und im Gebäudesektor genutzt werden. Vor allem aber verursacht seine Nutzung keine CO2-Emissionen und fast keine Luftverschmutzung.

Wasserstoff kann Sektoren mit Energie versorgen, die nicht für die Elektrifizierung geeignet sind, und die Energie speichern, um variable Energieflüsse aus erneuerbaren Energieträgern auszugleichen, aber dies kann nur durch auf EU-Ebene koordinierte Maßnahmen des öffentlichen und privaten Sektors erreicht werden. Vorrangiges Ziel ist die Entwicklung von erneuerbarem Wasserstoff, der hauptsächlich mithilfe von Wind- und Sonnenenergie erzeugt wird. Kurz- und mittelfristig sind nach den Vorstellungen der EU-Kommission jedoch andere Formen CO2-armen Wasserstoffs erforderlich, um die Emissionen rasch zu senken und die Entwicklung eines tragfähigen Marktes zu unterstützen.

Trinkwasseraufbereitung

Dieser schrittweise Übergang erfordert einen stufenweisen Ansatz:

  • Phase 1 von 2020 bis 2024: Von 2020 bis 2024 möchte die Kommission in der EU die Installation von für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff bestimmten Elektrolyseuren mit einer Leistung von mindestens 6 Gigawatt und die Erzeugung von bis zu 1 Million Tonnen erneuerbarem Wasserstoff unterstützen. Die bereits existierende Wasserstoff-Produktion auf Erdgasbasis soll in den kommenden Jahren möglichst CO2-frei werden, indem die bestehenden Anlagen aufgerüstet werden: Künftig soll das freigesetzte CO2 abgespalten und gespeichert werden ("Carbon Capture and Storage", kurz CCS). In diesen Bereich fließen bereits jetzt viele EU-Gelder.
  • Phase 2 von 2025 bis 2040: In diesem Zeitraum wird Wasserstoff zu einem wesentlichen Bestandteil unseres integrierten Energiesystems, so die Pläne der EU-Kommission. Die Kommission erhofft sich eine signifikante Kostenreduktion für die Herstellung von grünem Wasserstoff. In dieser Phase sollen lokale Schwerpunkte der Wasserstoff-Produktion, sogenannte "Hydrogen Valleys", entstehen. Dort soll grüner Wasserstoff produziert, über kurze Distanzen transportiert und auch verbraucht werden. Die EU-Kommission verfolgt dabei einen modularen Ansatz: Die regionalen Zentren können mit steigender Nachfrage zusammenwachsen, am Ende des Prozesses entsteht nach den Vorstellungen der EU-Kommission das Rückgrat einer europäischen Wasserstoff-Infrastruktur.
  • Phase 3 von 2030 bis 2050: Über 20 Jahre hinweg sollten die Technologien für erneuerbaren Wasserstoff ausgereift sein und in großem Maßstab in allen Sektoren, in denen die Dekarbonisierung schwierig ist, eingesetzt werden, beispielsweise in der Stahlindustrie. Um der Industrie zu helfen, die mit der Verwendung von grünem Wasserstoff verbundenen Kosten zu stemmen, will die Kommission Modelle für "Carbon Contracts for Difference" entwickeln. Dahinter verbergen sich staatliche Garantien für eine bestimmte Höhe des CO2-Preises für Unternehmen, die in Klimaschutz investieren. Zusätzlich propagiert die Kommission Quotenlösungen für den Einsatz von grünem Wasserstoff in verschiedenen Sektoren. Dadurch sollen verlässliche Absatzmärkte entstehen.

Für die EU ist eine erfolgreiche Wasserstoff-Strategie nicht nur aus klimapolitischen Gesichtspunkten wichtig. Man hofft zugleich auf einen Milliardenmarkt und Weltmarktführerschaft. Bis 2030 könnten durch den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft 140.000 Arbeitsplätze entstehen und die "Power-To-X-Technologien" (verschiedene Technologien zur Speicherung beziehungsweise anderweitigen Nutzung von Stromüberschüssen in Zeiten eines [zukünftigen] Überangebotes variabler erneuerbarer Energien wie Solarenergie, Windenergie und Wasserkraft) ein Marktvolumen von bis zu 140 Milliarden Euro erreichen, heißt es in dem Strategiepapier.

Der für den "Green Deal" zuständige Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans erklärte dazu: "Die angenommenen Strategien werden den europäischen 'Grünen Deal' und den grünen Wiederaufschwung stärken und uns den Weg zur Dekarbonisierung unserer Wirtschaft bis 2050 deutlich vorzeichnen. Die neue Wasserstoffwirtschaft kann ein Wachstumsmotor sein, der zur Überwindung der durch Covid-19 verursachten wirtschaftlichen Schäden beträgt. Bei der Entwicklung und der Einführung einer Wertschöpfungskette für sauberen Wasserstoff wird Europa weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen und seine führende Stellung auf dem Gebiet sauberer Technologien behaupten."

Europäische Allianz für sauberen Wasserstoff

Um die Umsetzung dieser Strategie zu unterstützen, hat die Kommission am 8. Juli die "Europäische Allianz für sauberen Wasserstoff" ins Leben gerufen, an der führende Vertreterinnen und Vertreter der Industrie, die Zivilgesellschaft, Ministerinnen und Minister der nationalen und regionalen Ebene und die Europäische Investitionsbank beteiligt sind. Die Allianz soll eine Investitionspipeline für den Ausbau der Erzeugung aufbauen und die Nachfrage nach sauberem Wasserstoff in der EU fördern.

Stockshot Eenergy Union Mykonos

Hintergrund: Der "Green Deal" der EU

Der europäische "Green Deal" ist die 2019 von der EU-Kommission präsentierte Wachstumsstrategie der EU zur nachhaltigeren Gestaltung der Wirtschaft. Ein stärker integriertes Energiesystem ist von entscheidender Bedeutung, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen, einen fairen Übergang zu gewährleisten und die Innovationstätigkeit in der EU sowie die führende Rolle der Industrie auf globaler Ebene zu stärken. Gerade der Energiesektor zählt zu jenen strategischen Wirtschaftszweigen, welche für die Resilienz Europas von entscheidender Bedeutung sind. Mit dem "Green Deal" soll der Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft gelingen, in der

  • bis 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden,
  • das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt wird und
  • niemand, weder Mensch noch Region, im Stich gelassen wird.

Der europäische "Green Deal" umfasst einen Fahrplan mit konkreten Maßnahmen zur Förderung einer effizienteren Ressourcennutzung, zur Wiederherstellung der Biodiversität und zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung. Er zeigt auf, welche Investitionen erforderlich sind, wie diese finanziert werden können und erläutert, wie ein gerechter und inklusiver Übergang gelingen kann.