Bundeskanzler Kurz: Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in der EU erhalten

Europaerklärung im Nationalrat – Prioritäten für den EU-Ratsvorsitz

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, geschätzte Regierungskolleginnen und Kollegen!

Mit 1. Juli darf Österreich zum dritten Mal den Ratsvorsitz in der Europäischen Union übernehmen, und das in einer sehr herausfordernden Phase. Es wird der letzte vollständige Ratsvorsitz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament sein. Es wird der Ratsvorsitz sein, in dem 300 noch offene Triloge behandelt werden sollen und es ist der Ratsvorsitz, bei dem es wahrscheinlich auch große Herausforderungen zu bewältigen gibt, was den Brexit betrifft und die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen.

Ein Ratsvorsitz ist etwas, das nicht nur Arbeit auslöst während des Halbjahres in dem man tätig ist, sondern es ist ein Ratsvorsitz, etwas, bei dem es sehr viel Vorbereitungsarbeit zu leisten gibt. Und ich darf daher an dieser Stelle allen, die hier einen Beitrag geleistet haben und nach wie vor leisten, ein großes Danke sagen. Ich darf beginnen bei den Mitgliedern der Bundesregierung, allen voran dem Kanzleramtsminister Gernot Blümel und auch der Außenministerin Karin Kneissl. Ich möchte mich aber auch bei allen Beamtinnen und Beamten bedanken, die hier in Österreich, aber auch bei der Ständigen Vertretung in Brüssel schon seit Monaten sehr intensive Arbeit leisten, um den österreichischen Ratsvorsitz auch zu einem Erfolg werden zu lassen.

Der österreichische Ratsvorsitz findet in einer Zeit des Umbruchs statt. Sie erleben alle gemeinsam mit uns, dass derzeit gerade internationale Abkommen geschlossen werden, wenn wir nach Nordkorea blicken. Es werden internationale Abkommen aufgekündigt, wenn wir in den Iran blicken. Wir erleben eine unberechenbarer gewordene Situation in den USA, nach wie vor Spannungen mit Russland und auch in der Europäischen Union ist mittlerweile durch den Brexit eine Zeit des Umbruchs eingeleitet worden. Wir haben seit der Flüchtlingskrise zunehmende Spannungen in der Europäischen Union, der Norden der über den Süden klagt, der Westen der über den Osten klagt, das Gefühl bei manchen Mitgliedstaaten, dass es mittlerweile Mitgliedstaaten erster und zweiter Klasse gibt. Insofern ist ein großes Ziel unseres Ratsvorsitzes, dass wir unsere schon geografisch günstige Position im Herzen Europas dafür verwenden wollen, Spannungen in der Europäischen Union abzubauen, sicherzustellen, dass die Europäische Union in Zukunft auch wieder geeinter auftritt. Ich glaube, dass es wichtig ist, unserem Motto gerecht zu werden „In Vielfalt geeint“, nicht das Gegenteil anzustreben, nämlich "In Gleichheit getrennt". Das bedeutet einen Diskurs und unterschiedliche Meinungen nicht nur zuzulassen, sondern stets zu versuchen, dass die unterschiedlichen Zugänge, die es in der Europäischen Union gibt, auf Augenhöhe diskutiert werden, dass der Umgang miteinander ein respektvoller ist. Denn nur so hat dieses Projekt der Europäischen Union auch Zukunft. Entsteht der Eindruck, dass es bessere oder schlechtere Europäer gibt, die Mitglieder erster und die Mitglieder zweiter Klasse - diejenigen die überlegen sind und diejenigen, die noch erzogen werden müssen - wenn wir diesen Eindruck entstehen lassen, dann ist unsere Europäische Union gefährdet.

Ich komme gerade aus Israel zurück, ein Staat, in dem einem wie in kaum einem anderen Land der Welt bewusst wird, dass Sicherheit keine Selbstverständlichkeit ist. Die letzten Jahre haben uns leider Gottes aber auch in der Europäischen Union gezeigt, dass Sicherheit auch in Europa keine Selbstverständlichkeit sein muss, und dass es nicht gottgegeben ist, dass wir immer in Stabilität und Sicherheit zusammenleben. Insofern ist unser großes Ziel während des Ratsvorsitzes, einen Beitrag dazu zu leisten, dass Stabilität, Sicherheit, Wohlstand auch in Zukunft Selbstverständlichkeiten in der Europäischen Union sind. Wir haben uns als Bundesregierung für das Motto entschieden "Ein Europa das schützt" und wollen daher auf das Thema der Sicherheit, aber auch auf das Thema des Wohlstands - das Absichern unseres Lebensstils - unseres Wohlstands in Europa fokussieren. Das bedeutet zum ersten ein klarer Fokus auf den Außengrenzschutz: Denn Sicherheit in der Europäischen Union kann es nicht nur geben, wenn militärische Sicherheit gewährleistet ist, sondern für die innere Sicherheit ist es auch notwendig zu wissen, wer zuwandern darf und wer nicht; ist es notwendig sicherzustellen, dass die Regierungen entscheiden, wer nach Europa kommt und nicht die Schlepper diejenigen sind, die diese Entscheidungen treffen. Wir setzen daher in enger Abstimmung zwischen Außenministerium, Innenministerium und Bundeskanzleramt einen Schwerpunkt auf das Thema des Außengrenzschutzes. Wir werden den Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 20. September in Salzburg ganz dem Thema der Sicherheit des Außengrenzschutzes, dem Kampf gegen illegale Migration widmen, und es ist unser großes Ziel, dass dort eine Stärkung von Frontex gelingt: inhaltlich, personell und finanziell. Das bedeutet nicht erst bis zum Jahr 2027, wie derzeit vorgesehen eine Aufstockung auf 10.000 Mann, sondern deutlich schneller, und das bedeutet vor allem auch eine Ausweitung des Mandats von Frontex, denn nur wenn die Beamten, die für Frontex tätig sind, auch aktiv gegen Schlepper ankämpfen dürfen. Nur wenn sie mit Drittstaaten kooperieren können, nur wenn sie auch die Möglichkeit haben, Boote daran zu hindern, dass sie erst ablegen, nur wenn diese Möglichkeiten bestehen, können die Beamten von Frontex auch effektiv dem Ziel nachkommen, dass wir verfolgen, nämlich die Rettung von Menschenleben, die Sicherung unserer Außengrenzen und die Rückgewinnung von Kontrolle in der Europäischen Union.

Wenn wir von Sicherheit sprechen und einem Europa das schützt, dann bedeutet das aber nicht nur Sicherheit in körperlichem Sinne, sondern das bedeutet natürlich auch den Wohlstand abzusichern, den wir in Europa genießen. Ich habe als Außenminister viele Regionen erleben dürfen die aufholen, manche erleben müssen die uns einholen oder sogar überholen. Und es ist daher dringend notwendig, dass wir als Europäische Union alles tun, um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Infrastrukturminister wird noch im Detail darauf eingehen, aber es ist natürlich notwendig, dass wir bei der digitalen Infrastruktur als Europäische Union vorankommen, dass wir den digitalen Binnenmarkt vollenden, dass wir Steuerungerechtigkeiten beseitigen durch die Besteuerung von Internetgiganten auf unserem Kontinent und es ist notwendig, dass wir in Wissenschaft und Forschung investieren, um auch weiterhin der Ort in der Welt zu sein, an dem Innovationen stattfinden.

Zum dritten, neben der klassischen Sicherheit, dem Absichern von Wohlstand, natürlich auch der Fokus - wie könnte es anders sein - auf unsere Nachbarschaft. Nur wenn wir in unserer Nachbarschaft Stabilität und Sicherheit genießen, dann wird es auch Stabilität und Sicherheit in der Europäischen Union geben. Es wird daher einen klaren Fokus auf unsere Nachbarschaft geben. Die Außenministerin wird einen Schwerpunkt auf die Region Südosteuropa setzen, mit dem klaren Ziel, auch die Staaten des Westbalkans nicht nur näher an die Europäische Union heranzuführen, sondern ihnen eine Unterstützung bei der europäischen Perspektive zu sichern. Wir haben Gott sei Dank erst gestern großen Fortschritt erlebt, mit der Lösung des Namensstreits zwischen Griechenland und Mazedonien. Wir erleben große Fortschritte, wenn es um Reformen geht in Serbien, aber auch anderen Staaten dieser Region. Und es ist unsere Aufgabe als Österreich, diese Region, die uns historisch, wirtschaftlich, kulturell und menschlich so nahe steht, bestmöglich bei der Annäherung an die Europäische Union zu unterstützen. Das sind, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, grob skizziert die Schwerpunkte, die wir uns während unseres Ratsvorsitzes setzen. Es gibt darüber hinaus natürlich noch in jedem Zuständigkeitsbereich aller Ministerinnen und Minister sehr viel an Tätigkeit, die auf uns zukommt. Ich kann ihnen nur versichern: Wir freuen uns auf die Arbeit, wir freuen uns auf die Möglichkeit, noch stärker in der Europäischen Union gestalten zu können, als wir das ohnehin als Mitgliedsstaat schon können. Und wir sind uns auch bewusst, dass neben den Schwerpunkten, die wir uns selbst ausgewählt haben, natürlich große Themen wie der Abschluss der Brexit-Verhandlungen oder die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen und oftmals auch das, was wir noch nicht vorhersehen können, diesen Ratsvorsitz auszeichnen und diesen Ratsvorsitz prägen wird.

Ich darf sie alle um bestmögliche Unterstützung während des Ratsvorsitzes bitten. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir in diesem halben Jahr parteiübergreifend an einem Strang ziehen. Zum Wohle Österreichs, vor allem aber auch zum Wohle der Europäischen Union.

Vielen Dank!

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