Der EU-Aufbauplan: Wirtschaftliches Comeback mit "grünem" und digitalem Schwerpunkt

Die Coronavirus-Pandemie hat Gesellschaft, Politik, Gesundheitssysteme und Wirtschaft in Europa und weltweit vor neue und in diesem Ausmaß nicht gekannte Herausforderungen gestellt. Die gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens sind mit gravierenden ökonomischen Auswirkungen einhergegangen. Weltweit kam die Wirtschaft zum Erliegen, Produktions- und Lieferketten wurden unterbrochen, der Konsum und die Produktion von Waren und Dienstleistungen stark eingeschränkt, die Arbeitslosigkeit ist angestiegen, strukturelle Veränderungen wurden beschleunigt.

Die Europäische Union hat rasch reagiert und als Antwort auf diese Herausforderungen bereits im Sommer 2020 mit Next Generation EU (NGEU) ein 806,9 Milliarden Euro schweres Wiederaufbauinstrument auf den Weg gebracht, welches laut der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, gemeinsam mit dem mehrjährigen EU-Haushalt 2021-2027 "das größte Konjunkturprogramm in Europa seit dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg" ist. Next Generation EU ist zudem ein wichtiger Hebel zur Umsetzung der Wachstumsstrategie im Bereich der ökologischen Transformation, des "European Green Deal"und soll dazu beitragen, die EU künftig krisenfester zu machen. Die russische Invasion in die Ukraine im Februar 2022, der Krieg und seine nicht absehbaren Auswirkungen – etwa für die globale Ernährungssicherheit, aber auch für die Energieversorgung in den Mitgliedstaaten – verleihen der Notwendigkeit einer nachhaltigeren, resilienteren Ausgestaltung der europäischen Wirtschaft eine neue Dringlichkeit. 

"REPowerEU"

Mit 1. März 2023 ist die Änderung der Verordnung zur Aufbau- und Resilienzfazilität im Rahmen von "REPowerEU" in Kraft getreten. Die österreichische Bundesregierung hat am 14. Juli 2023 die entsprechende Überarbeitung des Aufbau- und Resilienzplans 2020 bis 2026 (inklusive Ergänzung um ein spezifisches "REPowerEU-Kapitel") im Ministerrat beschlossen. Nach der Beschlussfassung wurde die Planüberarbeitung an die Europäische Kommission übermittelt. Sobald die Europäische Kommission diese genehmigt hat, stehen Österreich mit "REPowerEU" zusätzlich insgesamt 210,3 Millionen Euro zur Verfügung, die in Projekte im Energiebereich fließen. Das "REPowerEU-Kapitel" listet diese vorgesehenen Projekte – zwei Reformen und zwei Investitionen – auf:

  • Reform 5.A.1. soll Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien beschleunigen.
  • Reform 5.A.2. fokussiert auf Wasserstoff als Schlüsseltechnologie für Klimaneutralität.
  • Investition 5.B.1. sieht die Installation von Photovoltaik-Anlagen vor, um die aktuell hohe Nachfrage danach zu decken und Energieunabhängigkeit weiter zu fördern. Diese Investition setzt einen Schwerpunkt auf Photovoltaik-Anlagen (20 Kilowatt-Peak) mit/ohne Speicherkapazität (Volumen: 140,3 Millionen Euro).
  • Investition 5.B.2. ist eine Überarbeitung der Investition 1.B.4; mit den zusätzlich über "REPowerEU" verfügbaren Mitteln sollen emissionsfreie Nutzfahrzeuge und die damit zusammenhängende Infrastruktur finanziert werden (Volumen: 70 Millionen Euro).

Aufbau- und Resilienzfazilität: Über 700 Milliarden Euro für den ökologischen und digitalen Wandel

Herzstück von Next Generation EU ist die Aufbau- und Resilienzfazilität. In Summe werden den Mitgliedstaaten in kommenden Jahren 723,8 Milliarden Euro in Form von nicht-zurückzahlbaren Zuschüssen (338 Milliarden Euro) und Darlehen (385,8 Milliarden Euro) zur Verfügung gestellt, um die Auswirkungen der Pandemie auf Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern, in den ökologischen und digitalen Wandel zu investieren und notwendige Strukturreformen voranzutreiben. Erstmalig in der Geschichte der EU wird das Programm durch eine gemeinsame Schuldenaufnahme der EU finanziert.

"Österreich wird seitens der EU 3,75 Milliarden Euro an Zuschüssen erhalten, welche wir vor allem in den Bereichen Ökologisierung und Digitalisierung investieren werden. Unser Ziel ist ein starkes wirtschaftliches Comeback für unser Land." (Bundeskanzler Karl Nehammer)

Die Verteilung der nicht-zurückzahlbaren Mittel an die EU-Mitgliedstaaten erfolgt anhand vorab festgelegter Kriterien, zu denen die Bevölkerungsgröße des Mitgliedstaates, die durchschnittliche Arbeitslosenquote in den Jahren 2015 bis 2019 sowie das umgekehrte Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf zählen.

Österreich kann auf Basis des Verteilungsschlüssels mit Zuschüssen in Höhe von knapp 3,75 Milliarden Euro rechnen: Am 21. Juni 2021 war der Aufbau- und Resilienzplan Österreichs in Höhe von knapp 3,5 Milliarden Euro von der Europäischen Kommission positiv bewertet worden und die entsprechende Verordnung in Kraft getreten. Der endgültige Betrag in Höhe von 3,75 Milliarden Euro wurde im Juni 2022 auf Basis der vorliegenden Wirtschaftsdaten von 2019 bis 2021 festgelegt. Österreich erhält damit um rund 300 Millionen Euro oder 8 Prozent mehr als zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung im Jahr 2021 vorgesehen.

Hauptstoßrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität ist es, den "grünen" und digitalen Wandel voranzutreiben und damit bestmöglich zur Umsetzung der neuen europäischen Wachstumsstrategie beizutragen. Aus diesem Grund ist die finanzielle Unterstützung an strikte Reform- und Investitionsvorgaben gekoppelt, die von den Mitgliedstaaten erfüllt und in nationalen Aufbau- und Resilienzplänen dargelegt werden müssen. Unter anderem ist verpflichtend vorgesehen, dass von jedem Mitgliedstaat mindestens 37 Prozent der Mittel für den "grünen" Wandel und mindestens 20 Prozent für den digitalen Wandel eingesetzt und alle Ausgaben auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft werden müssen. Darüber hinaus gilt es, zukunftsgerichtete Investitionen in folgenden 4 Politikbereichen anzustoßen:

  • intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, darunter wirtschaftlicher Zusammenhalt, Arbeitsplätze, Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit, Forschung, Entwicklung und Innovation sowie ein gut funktionierender Binnenmarkt mit starken kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und Beschäftigung;
  • sozialer und territorialer Zusammenhalt;
  • Gesundheit und wirtschaftliche, soziale und institutionelle Resilienz, um unter anderem die Krisenvorsorge und Krisenreaktionsfähigkeit zu erhöhen;
  • Maßnahmen für die nächste Generation, Kinder und Jugendliche, wie zum Beispiel Bildung und Kompetenzen.

Damit von den Mitgliedstaaten die Finanzhilfen in Anspruch genommen werden können, müssen nationale Aufbau- und Resilienzpläne (so genannte ARP) erstellt werden, die den in der Verordnung (EU) 2021/241 vereinbarten Kriterien entsprechen und eine detaillierte Investitions- und Reformagenda bis zum Jahr 2026 darlegen. Nach der Genehmigung der nationalen Pläne durch die EU-Kommission und den Rat erhalten die Mitgliedstaaten 13 Prozent des nationalen Gesamtvolumens als Vorfinanzierung. Die weiteren Auszahlungen erfolgen leistungsgebunden und werden nur dann von der Europäischen Kommission bewilligt, wenn die in den Aufbau- und Resilienzplänen vereinbarten Etappenziele und Meilensteine erreicht wurden.

Österreichs Aufbauplan – Vorreiter im Bereich Klimaschutz

Der österreichische Aufbau- und Resilienzplan wurde am 30. April 2021 an die Europäische Kommission übermittelt. Nach positiver Bewertung durch die Kommission am 21. Juni 2021 wurde beim Rat "Wirtschaft und Finanzen" (ECOFIN) am 13. Juli 2021 der entsprechende Durchführungsrechtsakt verabschiedet und der nationale Aufbau- und Resilienzplan somit offiziell angenommen.

Der Plan folgt den Vorgaben der Verordnung (EU) 2021/241 und berücksichtigt die Leitlinien der Kommission und sowie die länderspezifischen Empfehlungen an Österreich 2019 und 2020. Insgesamt sieht der österreichische Aufbau- und Resilienzplan Maßnahmen in einem Gesamtvolumen von 4,5 Milliarden Euro vor, wobei 46 Prozent für Klimaschutz und 41 Prozent für Digitalisierung aufgewendet werden. Damit geht Österreich deutlich über die von der Europäischen Kommission vorgeschriebenen Mindestanteile hinaus.

"Der österreichische Plan erfüllt all die anspruchsvollen Kriterien. Er ist ehrgeizig, er hat Weitblick und er wird dazu beitragen, dass Österreich stärker aus der Krise herausgeht. […] Mit seinem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit ist der Plan ein klares Statement im Kampf gegen den Klimawandel." (Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen)

Der Aufbauplan als Wirtschafts- und Jobmotor

Zwei Drittel der im Aufbau- und Resilienzplan genannten Maßnahmen stellen neue Investitionen dar, welche in der bisherigen österreichischen Budgetplanung noch nicht berücksichtigt worden waren. Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat in einem "Impact Assessment" die möglichen Wachstums- und Beschäftigungseffekte sowie die Auswirkungen auf den öffentlichen Haushalt berechnet. Im Vergleich zum Basisszenario wird sich die Umsetzung der im Plan genannten Maßnahmen vom Breitbandausbau bis zum Klimaschutz den Berechnungen zufolge bereits im Jahr 2022 in einem höheren Bruttoinlandsprodukt (BIP) von +0,41 Prozent niederschlagen. Der langfristige BIP-Effekt im Jahr 2040 liegt bei +1,21 Prozent. Ähnlich positiv sind die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, wo das IHS für 2022 mit einem Anstieg von +0,29 Prozent, für 2025 von +0,54 Prozent und für 2040 sogar von +0,61 Prozent rechnet. Auch der Budgetsaldo wird sich kontinuierlich von 0,20 Prozent im Jahr 2022 auf 0,56 Prozent im Jahr 2040 verbessern.

Der nationale Aufbau- und Resilienzplan verstärkt die nationalen Soforthilfe- und Überbrückungsmaßnahmen zur Bewältigung der Coronavirus-bedingten Folgen sowie das im Sommer 2020 von der Bundesregierung geschnürte Konjunkturpaket und setzt klare Schwerpunkte auf zukunftsorientierte Investitionen und Reformen in 4 politischen Interventionsbereichen – den sogenannten "Komponenten":

  1. Nachhaltiger Aufbau
  2. Digitaler Aufbau
  3. Wissensbasierter Aufbau
  4. Gerechter Aufbau

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