Thema 3 – Die Bibliothek während des Nationalsozialismus
13. März 1938: Die Administrative wird zur Verwaltungsbibliothek
Mit dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich und dem Ende der Eigenstaatlichkeit verliert auch die Administrative Bibliothek ihre vorgesetzte Behörde. Das Bundeskanzleramt hört auf, als oberste Verwaltungsbehörde zu existieren und wird als Reichsstatthalterei des Reichsgaues Wien dem Deutschen Reich eingegliedert.
Die Administrative Bibliothek wird zur Verwaltungsbibliothek und als solche dem Amt des Reichsstatthalters unterstellt. Die Bibliothek des aufgelösten Parlaments wird am 1. April 1941 mit der Administrativen Bibliothek (nunmehr: Verwaltungsbibliothek) zusammengelegt.
Staatsbedienstete und Systemwechsel
Am 1. Juni 1938 tritt die Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums in Kraft. Auf dieser Grundlage verlieren Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die aus den unterschiedlichsten Gründen das Misstrauen der neuen Machthaber erwecken, ihren Arbeitsplatz. Besonders gefährdet in diesem Sinne sind Jüdinnen und Juden gemäß der Nürnberger Gesetze, aber auch systemkritische Personen.
Im Diensteid, welche Beamtinnen und Beamte nach dem Führererlass vom 15. März 1938 ablegen müssen, bezeugen sie ihre Loyalität gegenüber dem Staat und legen darüber hinaus einen Treueschwur gegenüber Adolf Hitler ab.
Die politische Zuverlässigkeit sowie die arische Abstammung werden geprüft und bisherige Mitgliedschaften in verschiedenen Vereinigungen werden erhoben.
Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst erleben während ihrer aktiven Zeit mehrere politische Systemwechsel: Von der Monarchie zur Ersten Republik, vom autoritären Ständestaat über den "Anschluss" im März 1938 zur Zweiten Republik. Innerhalb von rund 30 Jahren müssen sie bis zu 5 unterschiedliche Treugelöbnisse leisten.
Diensteid.
Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.
[Unterzeichnet von] Marzelline Kudlic
[Stempel:] Der Diensteid wurde am 17. März 1938 vor dem Herrn Minister Dr. Glaise-Hortenau abgelegt.
Textauszüge aus der Berufsbeamtenverordnung 1938
§ 3. (1) Jüdische Beamte, Beamte, die jüdische Mischlinge sind, und Beamte, die mit einer Jüdin (einem Juden) oder mit einem Mischling ersten Grades verheiratet sind, sind in den Ruhestand zu versetzen, Sie erhalten Ruhegenuß (Abfertigung) nach den für die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit geltenden Borschriften; einen fortlaufenden Ruhegenuß erhalten sie nur dann, wenn sie eine für die Ruhegenußbemessung an rechenbare Dienstzeit von mindestens 10 Jahren haben.
(2) Beamtenanwärter (Gleichgestellte) und Aspiranten, auf die eine der Voraussetzungen des Abs. 1 zutrifft, sind durch Auslösung ihres Dienstverhältnisses aus dem Dienst auszuscheiden. Sie erhalten eine Abfertigung in Höhe des zuletzt bezogenen Bruttomonatsbezuges oder der letzten Beihilfe.
(3) Ausnahmsweise können mit Zustimmung des Stellvertreters des Führers oder der von ihm bestimmten Stelle im Dienste belassen werden:
1. Beamte, die mit einer Jüdin (einem Juden) oder mit einem Mischling ersten Grades verheiratet sind;
2. Beamte, die jüdische Mischlinge sind,
a) wenn sie am 1. August 1914 bereits angestellte Beamte im Sinne des § 5 des österreichischen Gehaltsgesetzes 1924 waren
oder
b) wenn sie im Weltkrieg an der Front auf seiten Österreich-Ungarns oder seiner Verbündeten gekämpft haben oder wenn ihre Väter, Söhne oder Ehemänner auf dieser Seite im Weltkrieg gefallen sind; dem Kampf im Weltkrieg stehen die Kämpfe gleich, die nach ihm zur Erhaltung deutschen Bodens und im Juli 1934 für die nationalsozialistische Erhebung geführt worden sind;
3. Beamtenanwärter (Gleichgestellte) und Aspiranten, die jüdische Mischlinge sind oder mit einer Jüdin (einem Juden) oder mit einem Mischling ersten Grades verheiratet, unter den Voraussetzungen der Nr. 2 b.
(4) Weitere Ausnahmen kann der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers zulassen.
(5) Das Dienstverhältnis der Lehrer an öffentlichen jüdischen Schulen bleibt bis zur Neuregelung des jüdischen Schulwesens unberührt.
(6) Nicht als verheiratet im Sinne dieser Vorschriften gilt, wessen Ehe im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung nach österreichischem Recht geschieden ist.
[Ende § 3 Berufsbeamtenverordnung 1938]
§ 6. Zur Vereinfachung der Verwaltung oder im Interesse des Dienstes können Beamte, auch wenn sie noch nicht dienstunfähig sind, in den Ruhestand versetzt und Beamtenanwärter (Gleichgestellte) und Aspiranten unter Auflösung ihres Dienstverhältnisses aus dem Dienst ausgeschieden werden. § 3, Abs. 1, Satz 2, und Abs. 2, Satz 2, gelten auch hier.
Links
- Personakten - 1930 bis 1950: Staatsbedienstete und Systemwechsel
- ÖNB Alex: Kundmachung des Herrn Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938 bekanntgemacht wird
Memorial: Severa Wjera Mendrochowicz
Severa Wjera Mendrochowicz wird 1925 mit der stellvertretenden Leitung der Administrativen Bibliothek betraut. Sie hat diese Position bis zu ihrer Beurlaubung im März 1938 inne. Am 29. Oktober 1938 erfolgt die Zwangsversetzung in den Ruhestand, aufgrund von § 3 der Verordnung zur Neuordnung des Berufsbeamtentums (kurz: Berufsbeamtenverordnung 1938).
Mendrochowicz wird am 4. Jänner 1891 in Lemberg geboren. Ihr Vater, ein Ingenieur der österreichischen Staatsbahnen, stirbt bereits 1898. Ihre Mutter heiratet Julian Romanczuk, k. k. Rats-Sekretär beim Obersten Gerichtshof in Wien.
Seit 1905 lebt die Familie in Wien, in der Burggasse im 7. Bezirk. Severa Mendrochowicz maturiert am 5. Juli 1910 mit Auszeichnung und beginnt ein Studium der Geschichte und Geographie, welches sie mit der Dissertation "Beiträge zur Geschichte und Beurteilung des Templerprozesses" abschließt. Am 22. Jänner 1916 promoviert sie mit Auszeichnung.
Im März 1916 beginnt sie als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin ohne Entgelt in der Administrativen Bibliothek und wird kurze Zeit später der niederösterreichischen Statthalterei zugeteilt.
In der Folge bemüht sich die junge Frau um die Zulassung zur Bibliothekspraxis und legt als erst dritte Frau diese Ergänzungsprüfung am Institut für Österreichische Geschichtsforschung ab.
Am 23. November 1918 wird Severa Mendrochowicz als Bibliothekspraktikantin in den österreichischen Staatsdienst übernommen. 7 Monate später, im Juni 1919, wird sie zum Staats-Bibliotheks-Konzipisten II. Klasse ernannt und weitere eineinhalb Jahre später, im Dezember 1920, erfolgt die Ernennung zum Staats-Bibliotheks-Konzipisten I. Klasse. 1923 wird ihr der Titel Staatsbibliothekar verliehen. Nur 2 Jahre später erreicht sie als stellvertretende Leiterin der Administrativen Bibliothek den Höhepunkt ihrer Karriere.
Ihre erfolgversprechende berufliche Laufbahn endet abrupt mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1938. Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung muss sie aus der Verwaltung ausscheiden.
Nach ihrer Zwangspensionierung verliert sich ihre Spur fast vollständig. Das letzte aktenkundige Lebenszeichen stammt vom 15. August 1940, als sie den Oberfinanzpräsidenten darüber informiert, dass sie in Zukunft Zahlungen nur noch auf ein Sperrkonto bei der Länderbank entgegennehmen darf.
Einem handschriftlichen Vermerk ihres Stiefvaters, Julian Romanczuk, datiert mit Ende April 1942, ist zu entnehmen, dass Severa Mendrochowicz seit 18. September 1941 abgängig ist. Sie wird 10 Monate nach ihrem Verschwinden, im Juli 1942, in der Nähe von Pressbaum tot aufgefunden.
Der Name Severa Mendrochowicz findet sich auf keiner Namensliste, die die österreichischen Opfer des NS-Regimes verzeichnet, da diese nur Opfer des Holocaust erfasst.
Beschreibungen der Abbildungen aus der Personalakte von Severa Mendrochowicz
Staatsbürgerschafts-Erklärung
Frau Mendrochowicz Severa [unleserlich] geboren am 4.1.1891 in Lemberg, Land Gal.[Galizien], Stand led.[ledig], Beruf Konzeptspraktikant im Min.d.I.[Ministerium des Inneren], wohnhaft in VII. Bezirk, Burg Straße (Gasse) 100A hat am heutigen Tage in Sinne des Gesetzes über die Deutschösterreichische Republik h. a. die Erklärung abgegeben, der Deutschösterreichischen Republik als getreuer Staatsbürger angehören „und sich zur Deutschen Nation bekennen“[händisch durchgestrichen] zu wollen.
Wien, am 16. Dez. 1918
Vom magistratischen Bezirksamt für den VII. Bezirk
als politischer Behörde I. Instanz.
Für den Bezirksamtsleiter:
[Name unleserlich]
Die Erhebungen über die gesetzlichen Voraussetzungen des Erwerbs der Deutsch-österreichischen Staatsbürgerschaft sind derzeit im Zuge.
[Rechts oben: Aktenzahl. Links: Stempel des Magistrats.]
Wien, am 31. Juli 1935.
An
das Präsidium des Bundeskanzleramtes
zu Handen des Herrn Regierungsrates Suchy.
Die Präsidial-Zuschrift vom 3.d.Mts [Dritten des Monats. zusätzlich handschriftlicher Vermerk:„316460“] kam erst vor zwei Tagen, nach meiner Rückkehr vom Urlaub in meine Hände.
Die gewünschten Daten sind:
- Reifeprüfung am 5. Juli 1910
- Beendigung der Universitätsstudien: Absolutorium vom 31. Juli 1915
- Hauptrigorosum (Geschichte) am 16. November 1915.
- Philosophisches Rigorosum am 12. Jänner 1916.
- Promotion am 22. Jänner 1916.
- Archivprüfung am 13. Juli 1918.
[Unterschrift:] Dr. Vera Mendrochowicz
Amt des Reichsstatthalters in Österreich
Abteilung I
Geschäftszahl: RSt. I 13255 / 38
Bezugszahlen: RSt. I 13253
[Händisch:] Sofort unter Verschluss durch Boten
Gegenstand: Mendrochowicz Severa, Versetzung in den Ruhestand
Frist: [Stempel] Der Oberfinanzpräsidenten Wien XIII., Eing. 31. Okt. 1938
[Stempel] [dem] Ministerium für innere und kulturell Angelegenheiten Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, Wien 1, Minoritenplatz 5
vorgeschrieben.
[Inhalt:]
Wien, am 27. Oktober 1938
wird
dem Amte des Herrn Reichsstatthalters
in Wien,
mit dem Bemerken rückgemittelt, daß gleichzeitig die Zustellung des Pensionsdekretes an Frau Dr. Severa Mendrochowicz veranlaßt wird.
Der Zustellungsnachweis wird Herrn Staatskommissar Dr. Wächter nach Rücklangen zugesendet werden.
Die Einstellung der Bezüge der Genannten mit Ende Oktober 1.J. [Anmerkung: 1938] sowie die Bekanntgabe der Ruhegenußbezüge ab 1. November 1938 sowie die Bekanntgabe der Höhe derselben wolle von dortaus veranlaßt werden, da die Genannte dortamts in Gebührenvorschreibung steht.
Für den Minister:
Im Auftrag:
Kampas
[Stempel] Für die Richtigkeit der Ausfertigung [Unterschrift unleserlich)
[Stempel vom Ministerium für innere und kulturell Angelegenheiten Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung] Eingelangt 27. Okt. 1938. 40676
[Handschriftlich] Vor Hinterlegung:
1.) Oberfinanzpräsidium Wien [unleserlich].
2.) [unleserlich].
3.) Standesführung [+ Stempel] 22. Nov. 1938 vorgemerkt.
Geschäftszeichen: Pensionsakt
Grundzahl: RstI 13531 /98
[Stempel] Amt des Reichsstatthalters in Oesterreich.
Eingelangt am 28. Okt. 1938
Rst. I 13531 /38 […]
[Stempel] 29. Okt. 1938
[diverse Unterschrift und Kürzel]
[Handschriftlich]
Dr. Severa Mendrochowicz
Oberstaatsbibliothekar i. P.
geboren 1891,
derzeit ohne Beruf
Wohnung: Wien VI Linke Wienzeile 128/[unleserlich],
ohne besondre Wünsche bezüglich ihrer Wiederverwendung.
[Stempel] Amt des Reichsstatthalters in Oesterreich.
Eingelangt am 29. Sep. 1938
Rst. I 15510 /3 […]
Dient zur Kenntnis. Vorläufig zu den Akten über die Meldung von Ruhestandsbeamten
Einlegen!
Jänner 1940
Geschäftszeichen: Pensionsakt
Rst./J.M. I- 15510/39
[Unterschrift unleserlich] 5.1.1940
Abschrift
G1, G2
Sterbeurkunde
(Standesamt Pressbaum Nr. 58/1942)
Die Doktor Severa Antonia Maria Sara Mendrochowicz, katholisch früher mosaisch wohnhaft in Wien 7., Burggasse 100a ist am 10. Juli 1942 um 11 Uhr --- Minuten in Pressbaum im Waldgebiet von Unterkniewaldl tot aufgefunden worden.
Die Verstorbene war geboren am 4. Jänner 1891 in Lemberg. Katholisches Pfarramt Lemberg (Leibe-Christi) Nr. IX/162)
Vater: Leo Mendrochowicz, Ingenieur, zuletzt wohnhaft in Lemberg
Mutter: Berta Renate Mendrochowicz geborene Blau, zuletzt wohnhaft in Wien.
Die Verstorbene war nicht verheiratet.
1 Zwischenzeile
Pressbaum, den 23. Juli 1942.
Der Standesbeamte (unleserliche Unterschrift)
Siegel: Standesbeamter in Pressbaum Landkreis St. Pölten.
V.Z.: 1008/42
Vorstehende Abschrift stimmt mit der mir vorgewiesenen Urschrift vollkommen überein. Wien, am 22. (zweiundzwanzigsten) September 1942 (neunzehnhundertzweiundvierzig)
Schreibgeb. RM -.27
VidGeb. RM -.27
zusammen RM -.54
[Stempel] Dr. Franz Ebermann. Notar in Wien
[Händische Unterschrift] Dr. Ebermann, Notar
[Stempel] Dr. Franz Ebermann
Notar
Wien VII/62, Westbahnstr. 1 (Neubaugasse 35)
Fernruf B 32-0-78
Wien, am 11. August 1942.
An den
Oberfinanzpräsidenten in Wien
Amtskasse
Wien, III/40,
Vordere Zollamtsstrasse 3
Als Gerichtsabgeordneter in der Verlassenschaftssache nach der am 10. Juli 1942 verstorbenen, zuletzt in Wien, VII., Burggasse 100a, wohnhaft gewesenen Dr. Severa Sara Mendrochowicz ersuche ich um Bekanntgabe der Höhe des Pensionsrückstandes (Bezugsblatt 145-B Ka J.).
Heil Hitler!
[Unterschrift] Dr. Ebermann
als Gerichtsabgeordneter
[Ergänzung ]
Gruppe für Pensionen:
Dr. Severa Sara Mendrochowicz wurde lt. P/13/7345/42 mit Ende IC/41 eingestellt, um weitere Weisungen wird gebeten.
18. August 1942.
[Stempel der Pensionskasse. Eingelangt: 24. Aug. 1942]
[Ergänzung ]
[Stempel] Der Oberfinanzpräsident Wien-Niederdonau.
Eing. P/12 19. Aug. 1942
Anl. -7345/2/42
[Handschriftliche Ergänzung]
1.) Buchhaltung Abtlg 8: Zur Bekanntgabe der bis Ende VII/42 noch anfallenden Versorgungsbezüge (netto), falls die Einstellung mit 30.IX.41 nicht erfolgt wäre.
Antwort siehe umstehend.
2.) Ins Büro.
22./VII./42
[Unterschrift unleserlich]
[Ergänzung Rückseite]
145 J Dr. Severa Sara Mendrochowicz
Der Versorgungsgenuss hat monatlich netto RM 184.06 betragen, daher für die Zeit von Ende IC/41 bis Ende VII/42 netto RM 1840.60
26./VIII. 1942
[händische Unterschrift unleserlich]
[Ergänzung]
An Einschreiter.
Geg.: Mendrochowicz Severa Sara, Dr., Pensionsrückstand.
Vorgang: Ihr Schreiben vom 11. August 1942.
Auf das Schreiben teile ich mit, dass der nach der Obgenannten aushaftende Pensionsrückstand insgesamt netto 1.840.60 RM beträgt.
Dieser Pensionsrückstand ist deshalb entstanden, weil die Pensionszahlungen aufgrund einer Mitteilung des Stiefvaters der Verstorbenen, dass sie seit 18.IX.1941 abgängig sein, mit Ende September 1941 eingestellt wurde.
Ich bitte um Übersendung der Sterbeurkunde.
Anregen: 10.XI.1942. – 1.IX.1942
[Stempel Bearbeitungen am 3. Sep 1942, 4. Sept 1942 und 5. Sep 1942, unleserliche händische Zeichen]
[Handschriftlich] Siehe N.Zahl 7345/3-42
Das Personal der Administrativen Bibliothek
Guido Mayr-Werchota, seit 1925 Leiter der Administrativen Bibliothek, wird auf Basis des § 6 der Berufsbeamtenverordnung 1938 zwangspensioniert.
Neuer Leiter wird Hermann Oberhummer, bisher Bibliothekar in der Bundespolizeidirektion Wien. Für den prononcierten Anhänger des Ständestaatsregimes ist das ein deutlicher Karrieresprung.
Die bisherige stellvertretende Leiterin der Bibliothek, Severa Mendrochowicz, wird gemäß § 3 der Berufsbeamtenverordnung als Jüdin mit 31. Oktober 1938 zwangsweise in den Ruhestand versetzt.
Ludwig Bäuerle wird ebenfalls gemäß § 3 der Berufsbeamtenverordnung am 12. Dezember 1938 in den Ruhestand versetzt.
Emma Ackermann wird auf Grundlage des § 6 der Berufsbeamtenverordnung zwangspensioniert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg können Guido Mayr-Werchota, Ludwig Bäuerle und Emma Ackermann ihre berufliche Tätigkeit wiederaufnehmen. Mayr-Werchota wird abermals zum Leiter der Administrativen Bibliothek ernannt.
Hermann Oberhummer wird 1945 wird als ehemaliges Mitglied der NSDAP suspendiert. Bevor disziplinäre Maßnahmen gegen ihn gesetzt werden können, reicht er sein Pensionsgesuch ein. 1947 wird diesem Ansuchen stattgegeben, nachdem eine Einstufung als "minderbelastet" gemäß Verbotsgesetz 1947 erfolgt.
Der Bundeskanzler
[Zahl) 21.429-1/46
Abschrift verbleibt im Akt!
Wien, am 6. März 1947
An Frau
Kanzleioberoffizial Emma Ackermann.
Am 13. März 1938 hatten Sie den Dienstposten eines Kanzleioberoffizials (Verwendungsgruppe 5, Kanzleidienst, VI. Dienstklasse) im Personalstande des Bundeskanzleramtes inne und wurden mit Verfügung des Reichsstatthalters in Wien vom 18. August 1938, RST. I. 6368/38, gemäß § 6 der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938, RGBl. I, Seite 607, mit Ende 1938 in den Ruhestand versetzt.
Mit dem Dekret des Staatskanzlers vom 22. November 1945, Zahl 8709-1/45, sind Sie gemäß § 4 Beamten-Überleitungsgesetzes wieder in den aktiven Dienststand aufgenommen worden.
Da Sie nicht gemäß § 7 des Beamten-Überleitungsgesetzes in den neu zu bildenden Personalstand des Bundeskanzleramtes übernommen werden, treten Sie gemäß § 4, Absatz 2, dieses Gesetzes in den Ruhestand. Aus diesem Anlaß wird Ihnen neben der mit dem oben angeführten Dekret angerechneten, außer Dienst zugebrachten Zeit auch noch die Zeit vom 13. März 1938 bis 31. August 1938 und jene vom 1. Mai 1945 bis 31. Dezember 1946 für die Vorrückung in höhere Bezüge und die Bemessung des Ruhegenusses angerechnet.
Wegen Flüssigmachung eines Vorschusses auf Ihren Ruhegenuss (§ 3 des Beamten-Überleitungsgesetzes) wird unter einem das Erforderliche veranlasst.
Für Ihre langjährige zufriedenstellende Dienstleistung spreche ich Ihnen Dank und Anerkennung aus.
Figl
Unterschrift mit dem Original gleichlautend befunden: [handschriftliche Unterschrift unleserlich]
[Stempel] Republik Österreich. Bundeskanzleramt.
Bibliotheksalltag im Haus Herrengasse 23
Im Geschäftsprotokoll der Bibliothek können die Auswirkungen des Krieges gut nachvollzogen werden: Die Beheizung der Räume wird vor dem Hintergrund der Kohleknappheit immer schwieriger. Der Luftschutzkeller im Haus muss regelmäßig adaptiert werden. Buchbestände müssen zum Schutz vor den Folgen der Luftangriffe ausgelagert werden. Etwa 30.000 Bände werden in der Kirche St. Josef ob der Laimgrube im 6. Wiener Gemeindebezirk untergebracht.
Im Zuge des zunehmenden Ressourcenmangels kommt es zur "Metallmobilisierung in der öffentlichen Verwaltung". Die Administrative Bibliothek teilt mit, dass im Gebäude Herrengasse 23 rund 150 Messingklinken vorhanden sind, die zur Verfügung gestellt werden können.
Bucherwerb während der NS-Zeit
Dem Sammelschwerpunkt der Bibliothek entsprechend werden Gesetzes-, Verordnungs- und Verwaltungsblätter angekauft. Außerdem werden Werke erworben, die sich mit den Einrichtungen des Großdeutschen Reichs beschäftigen. Verstärkt werden antisemitische und deutschnationale Titel angeschafft, aber auch Publikationen, die vom Oberkommando der Wehrmacht herausgegeben werden.
Hervorstechend ist die vergleichsweise große Zahl von Reiseführern. Sie sollen den Kenntnisstand über die von der deutschen Wehrmacht eroberten Gebiete heben.
Nach der Niederlage der deutschen Wehrmacht im Februar 1943 in Stalingrad spiegelt sich der zunehmend ungünstige Kriegsverlauf auch deutlich in den Inventarbüchern wider. Der Bucherwerb geht bis zum Kriegsende signifikant zurück.
Das Kriegsende und der politische Bruch sind auch im Inventarbuch der Bibliothek nachvollziehbar. Am 11. Juni 1945 findet sich in neuer Handschrift der Eintrag "Die österreichischen Wiedergutmachungs-Gesetze. Erläuterungen hiezu von Dr. Ludwig Haydn".
NS-Provenienzforschung in der Administrativen Bibliothek
Seit 2023 beschäftigen sich 2 Forschungsprojekte mit der NS-Zeit. Die Kommission für Provenienzforschung erstellt Dossiers zu jenen Personen, deren Bücher im Bibliotheksbestand gefunden wurden und eine bedenkliche Erwerbungsgeschichte im Sinne des Kunstrückgabegesetzes (BGBl. I Nr. 181/1998) aufweisen. Zu diesen Personen zählen Anwälte, Journalisten und hohe Beamte wie beispielsweise Leo Gross, Arthur Ballin, Hans Pernter, Rudolf Schalek, Raoul Allgayer und Paul Kisch.
Ein weiteres Projekt befasst sich mit der Geschichte der Administrativen Bibliothek während des Nationalsozialismus.