Screen 2 – NS-Provenienzforschung Provenienzforschung in der Administrativen Bibliothek – erste Ergebnisse
Seit 2023 untersucht die Kommission für Provenienzforschung den Altbestand der Administrativen Bibliothek auf Merkmale, die hinsichtlich der Bestimmungen des Kunstrückgabegesetzes relevant sein könnten. Das Augenmerk liegt dabei auf Eigentumsvermerken, Exlibris oder Stempeln von Vorbesitzerinnen und Vorbesitzern. Diese Hinweise bilden den Ausgangspunkt für weitere Nachforschungen, um festzustellen, ob die Personen während des Nationalsozialismus aus rassischen, politischen, religiösen oder ideologischen Gründen verfolgt wurden.
Die Autopsie des Altbestands ist noch nicht zur Gänze abgeschlossen. Insgesamt wurden bisher rund 34.500 von 35.600 Druckwerken überprüft und nach den von Kommission für Provenienzforschung angewandten Kategorien in drei Gruppen eingeteilt: unbedenklich – offen – bedenklich.
Als unbedenklich gelten Druckwerke, deren Provenienzen ausreichend geklärt werden konnten, sodass ein Tatbestand gemäß § 1 Kunstrückgabegesetz ausgeschlossen werden kann. Wird dieser Tatbestand erfüllt, gelten die Werke als bedenklich. Offen ist der Status von Druckschriften mit unklaren Hinweisen hinsichtlich der Einstufung als bedenklich oder unbedenklich.
Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen gibt es einige Druckschriften, die Rechtsanwälten zugeordnet werden können, die währen der Zeit des Nationalsozialismus in Österreich von den Machthabern verfolgt waren. Im Folgenden werden exemplarisch einige Biografien vorgestellt.
Bedenkliche Bestände in der Administrativen Bibliothek
Arthur Ballin wurde 1906 in Lemberg geboren. 1914 zog die Familie nach Wien. Ballin schloss 1928 das Studium der Rechtswissenschaften ab und arbeitete ab 1936 als selbstständiger Rechtsanwalt. Da Arthur Ballin jüdischen Glaubens war, wurde ihm nach dem Anschluss Österreichs verboten seinen Beruf auszuüben. Ende August 1938 gelang es ihm das Deutsche Reich zu verlassen. Über die Schweiz gelang ihm schließlich 1940 die Emigration in die USA wo ihm 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Er starb im August 1993 im Alter von 87 Jahren. Sein Grab befindet sich am Hebrew Rest Cemetery in New Orleans.
Wie die Bücher in die Administrative Bibliothek gelangten, ist nicht bekannt. Ebenso weiß man nicht, ob es sich bei diesen Büchern um Kanzleibestand oder seinen privaten Bestand handelt.
Literatur: Sabine Loitfellner, Anneliese Schallmeiner - Sammeldossier/2024 Dr. Rudolf Schalek, Dr. Leo Gross, Dr. Arthur Ballin, Kommission für Provenienzforschung, BMKOES, Wien 2024, S. 18-22
Quellen:
- OEStA, AdR, E-uReang, NHF 41285, Hilfsfonds Arthur Ballin
- OEStA, AdR, E-uReang, VVST, VA 40239, Arthur Ballin
- WSTLA, Historische Meldeunterlagen, Arthur Ballin
- Archiv IKG Wien, Auswanderungsfragebogen Nr. 36558, Arthur Ballin
Hans Pernter wurde 1887 in Wien geboren. Er studierte Physik und Geographie an der Universität Wien. 1920 war er im Handelsministerium tätig und ab 1922 im Bundesministerium für Inneres und Unterricht. 1925 wurde er Ministerialrat, 1932 Sektionschef und von 1932 bis 1934 war er Leiter der Kunstsektion und der Bundestheater. Pernter war Mitglied des Führerrats der Vaterländischen Front. Von 1934 bis 1936 war er Staatssekretär im Bundesministerium für Unterricht und von 1936 bis 1938 Bundesminister für Unterricht.
Hans Pernter wurde nach dem "Anschluss" 1938 verhaftet, nach Dachau gebracht und 1940 wieder entlassen. Von 1943 bis 1944 war er in einer Steuerkanzlei und im Widerstand tätig. 1944 wurde er neuerlich von der Gestapo verhaftet und nach Mauthausen deportiert, wo er im April 1945 überraschend entlassen wurde (Grund nicht bekannt). Möglicherweise hat ihn eine Erkrankung an Flecktyphus vor einer Verhandlung vor dem Volksgerichtshof bewahrt und damit das Leben gerettet. Nach 1945 war er Mitbegründer und geschäftsführender Obmann der ÖVP und Abgeordneter zum Nationalrat.
Literatur: Hans Pernter, Wikipedia (letzter Aufruf: 26.6.2025)
Rudolf Schalek wurde 1869 als ältestes von vier Kindern im Prager Vorort Karlín geboren. Der Vater, ein Fabrikant für Spirituosen und Konditoreiwaren übersiedelte 1873 mit der Familie nach Wien. Schalek schloss im Jahr 1892 das Studium an der juridischen Fakultät der Universität Wien ab. Sieben Jahre später, im Jahr 1899, wurde er in die Wiener Rechtsanwaltsliste eingetragen. Kurz vor seiner Hochzeit im August 1916 mit Olga Barbara née Fornasari Edle von Verce, trat er aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus und konvertierte zum römisch-katholischen Glauben. Die Ehe blieb kinderlos.
Nach dem "Anschluss" Österreichs wurde Rudolf Schalek am 27. September 1938, als gebürtigem Juden, die Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt untersagt. Aufgrund seiner arischen Ehefrau war er in einer privilegierten Mischehe und wurde ab Dezember 1938 als Konsulent „nur zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden“ zugelassen. Gemäß der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden war er verpflichtet sein Vermögen zu deklarieren. Auch seine Frau Olga war angehalten ihr Vermögen offen zu legen. Unter die Vermögensdeklaration 1938 fällt die Kanzleieinrichtung, in welcher auch die Bibliothek enthalten war. Er verstarb am 12. März 1942.
Literatur: Sabine Loitfellner, Anneliese Schallmeiner - Sammeldossier/2024 Dr. Rudolf Schalek, Dr. Leo Gross, Dr. Arthur Ballin, Kommission für Provenienzforschung, BMKOES, Wien 2024, S. 18-22
Raoul Allgayer wurde 1879 in Wien geboren. Nach Abschluss des Schottengymnasiums studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Seit 1901 war er in der politischen Verwaltung und ab 1908 für diverse Ministerien tätig. Im August 1934 wurde er Leiter der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit im Bundeskanzleramt. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurde er außer Dienst gestellt und 1938 aufgrund der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Beamtentums zwangspensioniert. Ende Februar 1939 wurde sein "Ruhegenuss" auf die Hälfte reduziert. 1945 wurde er rehabilitiert und seine Pensionierung mit 1. Jänner 1945 festgesetzt. Er starb 1954 in Wien.
Literatur:
- Öffentliche Sicherheit – 1921-1988: das Magazin des Innenministeriums, 14 Jg. Nr. 12, Wien – Graz 1934, Titelblatt.
- Anneliese Schallmeiner - Zwischenbericht zur Buchautopsie des sog. Altbestands in der Administrativen Bibliothek des Bundes/Standort Herrengasse 23; Wien 2023
Paul Kisch wurde 1883 als ältester Sohn des Tuchhändlers Hermann und seiner Ehefrau Ernestine Kisch in Prag geboren. Er entstammt einer alten jüdischen Familie. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder, Egon Erwin Kisch, erlangte als "rasender Reporter" in den 1920er Jahren Berühmtheit.
Paul Kisch studierte bis 1903 Germanistik. Im Gegensatz zu seinem in der Kommunistischen Partei aktiven Bruder Egon Erwin war Paul deutschnational eingestellt. Er war auch aktives Mitglied der Burschenschaft Saxonia, einer konservativen, schlagenden Studentenverbindung. 1913 promovierte er zum Doktor der Philosophie.
Im November 1918 übersiedelte er nach Wien und arbeitete als Redakteur bei der Neuen Freien Presse. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der Einführung der Arbeitspflicht für alle jüdischen Männer zwischen 15 und 60 Jahren wurde er als Helfer bei der Umsiedelung der Jüdischen Kultusgemeinde in Prag eingeteilt.
Im September 1943 wurde er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, Edith Langer, ins Ghetto Theresienstadt transportiert und am 12. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert, wo er gleich nach der Ankunft ermordet wurde.
Leo Gross wurde 1883 als Sohn des Spirituosenhändels Jacob und Ottilie (née Seidner) in der Nähe von Ostrava im heutigen Tschechien geboren. 1888 zog die Familie nach Wien. Gross promovierte 1909 zum Doktor der Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Zehn Jahre später folgte die Eintragung in die Liste der Anwälte. 1924 heiratete er Ida Hermine Suchanek, die vermutlich im Zuge der Eheschließung zum Judentum konvertiert war. Das Ehepaar hatte einen Sohn.
In den 1920er-Jahren und danach geriet Leo Gross aufgrund von unglücklichen Investitionen und Beteiligungen immer wieder in finanzielle Schwierigkeiten. Es kam zu einigen Exekutionsfällen, Pfändungen und 1937 wurde er kurzzeitig verhaftet.
Nachdem die Nationalsozialisten in Österreich an die Macht kamen, wurde ihm gemäß der Bestimmung der Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz die Ausübung des Berufs als Rechtsanwalt untersagt. Kurz nach dem Anschluss wurde er wegen Veruntreuung angezeigt und im November zu drei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Ida Gross gelang mit ihrem Sohn Erich im September 1938 die Ausreise nach England. Erich Gross, der bereits bereits mit 14 Jahren als Musiker auf sich aufmerksam machte, übersiedelte 1958 nach Australien, wo er an der Universität von Sydney als Professor für Musik tätig war.
Leo Gross wurde im April 1940 aus dem Gefängnis Stein a. d. Donau entlassen. Zwei Monate später erfolgte die Übersiedelung nach Traunkirchen, wo er als Zwangsarbeiter im Reichsstraßenbau Wohnlager Traunsee für den Ausbau der heutigen Bundesstraße 145 im Gemeindegebiet von Traunkirchen eingesetzt war. Ende September 1940 kehrte er nach Wien zurück und arbeitete dort als Magazinsarbeiter. Im März 1943 wurde er nach Theresienstadt deportiert und im Juni 1944 ermordet.