Bundeskanzler Nehammer: "Am 8. Mai gedenken und nachdenken"

Festakt zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Bundeskanzleramt

"Freiheit ist nicht alles, aber ohne die Freiheit ist alles nichts", dieses Zitat gelte vor allem am 8. Mai, dem Tag an dem mit dem Zweiten Weltkrieg auch der Nationalsozialismus ein Ende gefunden habe: so eröffnete Bundeskanzler Karl Nehammer die Gedenkfeier im Bundeskanzleramt. Gemeinsam mit den Rednern Vizekanzler Werner Kogler und Univ.-Prof. Wolfgang Mueller sowie musikalischer Begleitung gedachte er des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945. 

Verbrechen des Nationalsozialismus in Erinnerung rufen

"Der 8. Mai lässt uns nicht nur gedenken, sondern auch nachdenken", was der Nationalsozialismus bedeutet habe, das besondere Verbrechen, den Mord zu industrialisieren, den Rassenwahn, das Denunzieren und das Vernichten des politischen Gegners, so der Kanzler. Gedenken heiße, sich auch das Geschehene in Erinnerung zu rufen und "es nützen, solange es noch Zeitzeugen gibt, die über alle Verbrechen, über all das Erlittene Zeugnis ablegen können". Denn, so Kanzler Karl Nehammer aus eigener Erfahrung sprechend: "Jeder, der schon einmal mit Überlebenden des Holocaust sprechen durfte, kann nachvollziehen, was ich meine, wenn man spürt, welche unglaubliche Grausamkeit diese erleben mussten." Besonders berührt habe ihn ein Besuch des Konzentrationslagers Mauthausen mit dem damaligen israelischen Außenminister Jair Lapid: "Wir haben sehr bewegte und bewegende Stunden in der Gedenkstätte gemeinsam erlebt. Der Großvater von Jair Lapid wurde in einem Nebenlager von Mauthausen erschlagen. Es ist als Bundeskanzler der Republik eine Erinnerung für mich selbst, die ich niemals vergessen werde." 

Aber es habe für ihn dort auch einen positiven Ausblick gegeben, so der Bundeskanzler: Die Erinnerungstafel an Leopold Figl habe darauf verwiesen, dass jemand, der im Konzentrationslager geschunden, gefoltert und erniedrigt wurde, der erste Bundeskanzler der Zweiten Republik wurde. Die Tatsache, dass Menschen, die sich ein knappes Jahrzehnt davor bekriegt hätten, in Österreich, aus der gemeinsamen Erfahrung im Konzentrationslager heraus, über die Parteigrenzen hinweg, die Zweite Republik aufgebaut hätten, habe ihm Mut gemacht. "Dieses Mutmachende und gleichzeitig zu wissen, was alles geschehen ist, das ist aus meiner Sicht so wichtig. Helmut Kohl hat einmal gesagt: Wer die Vergangenheit nicht kennt, der kann die Gegenwart nicht verstehen und damit die Zukunft nicht gestalten."

Keinen Schlussstrich ziehen, sondern im Heute Verantwortung übernehmen

"Gedenken und Nachdenken heißt für mich auch, dafür zu sorgen, dass es nicht aufhört, dass es nicht einen Versuch gibt, einen Schlussstrich zu ziehen", stellte Bundeskanzler Karl Nehammer klar. Es brauche in Demokratien dafür mutige Politikerinnen und Politiker, die Haltung zeigen und Halt geben. Der ehemalige Bundeskanzler Franz Vranitzky habe hier einen schmerzhaften Prozess des Erinnerns und Nachdenkens in Gang gesetzt und die Bundeskanzler Wolfang Schüssel und Sebastian Kurz hätten in besonderem Maße die Beziehungen zum Staat Israel beim Thema Gedenk- und Erinnerungskultur weiterentwickelt. Es sei ihm eine Ehre, so der Kanzler, das fortzusetzen und zu seiner Agenda machen zu dürfen. Man habe hier durch eine Sicherheitspartnerschaft mit Israel eine zukunftsweisende Entscheidung getroffen: "Um damit zu zeigen, dass wir uns dessen bewusst sind, dass wir die Vergangenheit nicht ignorieren, die Vergangenheit nicht vergessen, das Leid annehmen, das angerichtet worden ist, ja auch durch Österreicherinnen und Österreicher und dass wir aus diesem Bewusstsein heraus eine neue Form der Zukunft gestalten."

"Aus Feinden können eben doch auch Freunde werden", und das sei etwas, was Österreich mit der Bundesrepublik Deutschland verbinde, "auch in der besonderen Verantwortung gegenüber dem Staat Israel, auch in der Herausforderung, die er jetzt gerade zu tragen hat". Es sei hier besonders wichtig, dass dieses Gedenken und Erleben lebendig bleibe, so der Kanzler weiter, es sei auch eine gute Tradition geworden, dass sich Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten, Schülerinnen und Schüler dieser Vergangenheit stellen. "Denn", so betonte Karl Nehammer, "nur, wenn wir uns mit dieser Geschichte auch persönlich konfrontieren, ist es möglich, aus dem 'Niemals Vergessen', ein 'Niemals wieder' zu machen."

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und braucht Wehrhaftigkeit

Gerade jetzt sehe man, wie notwendig das Gedenken und Nachdenken sei, nahm Bundeskanzler Karl Nehammer auf die aktuelle Lage Bezug: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe das Unrecht des Kriegsführens wieder auf den europäischen Boden zurückgebracht, ein Tabubruch. "Aber", so der Kanzler weiter, "der Krieg ist auch in den Nahen Osten zurückgekehrt. Und auch hier ein klares Wort: Es ist unsere Aufgabe als Partner und Freunde, an der Seite Israels zu stehen." Der Terrorangriff der Hamas lasse Bilder des Holocaust in Erinnerung kommen. Darum stellte Karl Nehammer klar, "dass wir hier keine Täter-Opfer-Umkehr zulassen, weder beim russischen Angriffskrieg in der Ukraine, noch beim Terror in Israel. Es gibt einen klaren Verantwortlichen für das Leiden im Gazastreifen, und das muss man klar sagen, das ist die Hamas."

In Zeiten wie diesen verpflichte ein solcher Gedenktag, auch über die Wehrhaftigkeit der Demokratie nachzudenken, denn: "Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und es ist unsere Verpflichtung, tatsächlich die Demokratie zu schützen, wachsam zu sein." Ob bei der Verrohung der Sprache, der Herabwürdigung des politischen Gegners oder bei der Ausbreitung des Antisemitismus in der Gesellschaft, es sei Wachsamkeit geboten, warnte Kanzler Nehammer. "Denn das Anwachsen des Antisemitismus war immer das große Zeichen, dass freie Gesellschaften unfrei werden." Die Demokratie müsse geschützt werden, "sodass Systeme wie ein Kalifat oder anderes in unserem demokratischen Österreich nicht Realität werden."

"Wenn wir von wehrhafter Demokratie sprechen, dann müssen wir bereit sein, die Demokratie auch zu verteidigen", strich der Kanzler die Notwendigkeit heraus, dass die Politik hier auch Verantwortung übernimmt: "Jede Form von Gewalt, von Tyrannei, von politischer Einschüchterung, müssen wir als politische Verantwortliche verhindern, unterdrücken und mit allem Nachdruck strafrechtlich verfolgen. Denn die Demokratie braucht unseren Schutz. Das ist unsere Aufgabe, das ist unsere Selbstverpflichtung." Abschließend äußerte Karl Nehammer den Wunsch: "Dann nehmen wir das heute mit, aus dem Gedenken ein Nachdenken und aus dem Nachdenken ein Tun zu machen: Setzen wir uns daher jeden Tag für die Demokratie, für die Freiheit und die Vielfalt in unserem Land ein."