Thema 6 – Vom bibliothekarischen Regelwerk zur Bibliotheksautomation

Einheitliche Regelwerke sind ein wichtiger Grundstein für die Vernetzung der bibliografischen Daten. Der Geschäftsgang in Bibliotheken geht aber weit über die Katalogisierung des Medienbestands hinaus. Für den Bibliotheksbetrieb trägt die Entwicklung integrierter elektronischer Bibliothekssysteme zur Optimierung des Ressourceneinsatzes und der Geschäftsabläufe bei.

Bibliothekarische Regelwerke

Die zentralen Funktionen einer Bibliothek sind das Sammeln, Erschließen und Bereitstellen von Medien. Um diese Dienstleistungen zu kontinuierlichen Bedingungen zu gewährleisten, bedarf es grundlegender Strukturen. Es muss Konsens über das Ordnungssystem bestehen – dieser wird über das bibliothekarische Regelwerk hergestellt.

Regelwerke bzw. Grundprinzipien zur Katalogverwaltung sind so alt wie die Institution Bibliothek selbst. Bereits zur Zeit der Keilschrift werden Sammlungen an Schriftgut verwaltet. In kodifizierter Form gibt es Katalogisierungsordnungen im deutschen Sprachraum seit etwa 1820 (Münchner Hofbibliothek). Um 1900 setzen sich in Deutschland die "Preußischen Instruktionen" durch, erstellt von der Staatsbibliothek in Berlin.

Parallel dazu existieren in Österreich eigene Katalogisierungsregeln ("Altösterreichische Beschreibvorschrift"), welche in den 1930er-Jahren (in der Administrativen Bibliothek ab 1941) durch die Preußischen Instruktionen abgelöst werden. Der nächste Standardisierungsschritt erfolgt in den 1970/80er-Jahren mit der Einführung der "Regeln für die alphabetische Katalogisierung" (RAK). Dieses Regelwerk wird 2015 von der RDA (Ressource Description and Access), dem neuen Standard für die Katalogisierung, abgelöst. Die RDA baut auf den international standardisierten Weiterentwicklungen der genannten Regelwerke auf und deckt analoge und digitale Inhalte und Medientypen ab.

KatZoom
KatZoom: Verzeichnis der Bibliotheksbestände vor 1945 und von 1945-2000. Foto: die Administrative

Paris Principles

Wegbereiter dieser Standardisierungsbestrebungen sind die sogenannten "Paris Principles", die aus einer Initiative der International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA) hervorgehen und 1961 verabschiedet werden. Unter Beteiligung von Delegationen aus 65 Ländern wird erstmals Konsens zur Struktur und Funktion von Bibliothekskatalogen erzielt und damit der Grundstein für international abgestimmte Entwicklungen im Bereich der Katalogisierung gelegt. Die schrittweise Einführung eines neuen, nach internationalen Prinzipien ausgerichteten Standards (Regeln für die alphabetische Katalogisierung in wissenschaftlichen Bibliotheken, "RAK-WB") erfolgt in Deutschland und Österreich ab Beginn der 1970er-Jahre. Gemeinsam mit dem ersten Aufkeimen der Digitalisierung und dem Einsatz von Computern wird die Weichenstellung zur Bibliotheksautomation vollzogen.

Bibliotheksautomation und die Library of Congress

Ende der 1960er-Jahre beginnen erste Bibliotheken mit der Arbeit an automatisierten Katalogen. Den ersten computergestützten Katalog gibt es in den USA an der Harvard University. In den 1970er- und 1980er-Jahren werden Bibliothekskataloge zunehmend auf Computern geführt, mit positiven Auswirkungen auf Effizienz und Genauigkeit bei der Katalogisierung. Federführend bei vielen technischen Innovationen im Bibliothekswesen ist die Library of Congress (LoC). Diese beauftragt bereits in den 1950er Jahren Untersuchungen zur Prozessautomatisierung mit dem Ziel, Daten von Zettelkatalogen in maschinenlesbare Form zu bringen. 1965 wird die Library of Congress mit der Distribution von maschinenlesbaren Daten beauftragt. Dies ist der Startschuss für das Projekt „MARC I“ (Machine-Readable Cataloging), eine Machbarkeitsstudie dazu, ob Katalogdaten in maschinenlesbarer Form produziert werden können. Parallel arbeitet die British National Bibliography an einem ähnlichen Projekt mit Daten aus der Nationalbibliografie. Daraus resultierend wird 1968 das Projekt „MARC II“ als Kommunikationsformat kooperativ im angolamerikanischen Sprachraum initiiert.

Elektronische Karteikarte im Bibliothekssystem Alma
Elektronische Karteikarte im Bibliothekssystem Alma (MARC21 Format). Foto: die Administrative

Henriette Avram: die Anfänge des maschinellen Datenaustausches

Poträtfoto Henriette Avram
Henriette Avram. Foto: American Libraries

Prägend für die Entwicklung des MARC-Formats ist Henriette Avram. Ursprünglich ist sie in den 1950er-Jahren bei der National Security Agency (NSA) als Programmiererin tätig, wo sie zu den ersten Personen gehört, die mit dem IBM 701 arbeitet. In den 1960er-Jahren wechselt Avram zunächst in die Privatwirtschaft, wo sie für den Aufbau einer Computer Science Library verantwortlich ist und der erste Kontakt zur Library of Congress entsteht. 1965 wechselt sie schließlich dorthin. Nachdem sie über keinerlei bibliothekarische Erfahrung verfügt, wird sie als Systemanalystin beauftragt, ein automatisiertes Katalogformat im Rahmen des MARC-Pilotprojekts zu entwickeln (1965-1968). Ihre Aufgabe ist mitnichten das ledigliche "Eintippen" von Katalogkarten in eine Datenbank. Der eigens von ihr entwickelte mathematische Code basiert auf Katalogzahlen, Buchstaben und Symbolen mit jeweils eigener Bedeutung. Resultat dieser Arbeit sind jene standardisierten Eingabefelder, in denen bibliografische Daten erfasst werden und dank derer heute die Möglichkeit gegeben ist, Metadaten elektronisch und institutionsübergreifend zu bearbeiten und nachzunutzen.

"MARC is an assemblage of formats, publications, procedures, people, standards, codes, programs, systems, equipment, etc., that has evolved over the years stimulating the development of library automation and information networks."
Henriette Avram in: Avram, Henriette (1975): MARC Its history and implications. Library of Congress Washington.